Wir stellen das Studio Bokja aus Beirut vor


Traditionsgeladene Geschichten

Von Audrey Kadjar

„Beirut ist eine Ansammlung verschiedener Menschen mit unterschiedlichen Ansichten” so Huda Baroudi, die gemeinsam mit ihrer Arbeitskollegin Maria Hibri das Beiruter Designstudio Bokja im Jahr 2000 ins Leben rief. „Unsere Arbeiten spiegeln die Vielfalt und Fülle dieser pulsierenden Stadt wider. Das Land selbst liegt zwischen Ost und West, dem Alten und dem Neuen. Identitätsfragen kommen hier immer wieder auf, und das Bewußtsein um Vergänglichkeit ist stets präsent. Was wir an unserer Arbeit besonders lieben ist dass sie ein Vehikel liefert, durch welches unsere lokalen Geschichten global reisen können und so ein weites Publikum erreichen können.”

Huda and Maria arbeiten seit über zehn Jahren zusammen und haben über die Jahre eine internationale Fangemeinde gewonnen, die sich für ihre collage-artige Ästhetik und ihrem Fokus auf traditionellem handwerklichen Erbe begeistert. Das Studio kombiniert Stoffe aus dem Mittleren Osten mit Vintage Modern Design, und wurde so im Bereich Design zu einer der führenden Vertreter globale Trends wie Upcycling, der Wiederbelebung traditioneller heimischen Handwerkstechniken oder tiefsinnigem Design. Ihre Ausstellung Arabic Seasons by Bokja (2012-2013) am Pariser Kulturzentrum Institut du Monde Arabe widmete sich dem internationalen Umschwung, der dem Arabischen Frühling folgte. Ihre Teilnahme an der Beirut Design Week 2018 untersuchte wiederum Probleme der Urbanisierung.

Wie freuen uns sehr, dass Huda und Maria diese Woche unseren Instagram-Account übernehmen. Dies nahmen wir zum Anlass, diese zwei smarten und inspirierenden Designerinnen zu interviewen. Tauchen Sie ein in ihre farbenfrohe Welt!

 

Audrey Kadjar: Wie und wann wurde Bokja gegründet? Was liegt Bokja zugrunde?

Huda Baroudi und Maria Hibri:  Wir wurden einander durch eine gemeinsame Bekanntschaft vorgestellt, da wir dieselbe Leidenschaft für Textilien und Secondhand- und Vintagemöbel teilen. Der Zufall wollte es, dass wir später zusammen arbeiteten. Nach dem Erfolg unserer ersten Kollektion, riefen wir Bokja ins Leben.

Das Sammeln war für uns von Anfang an wichtig; wir suchten besondere Textilien zusammen, vorwiegend aus Zentralasien und dem Nahen Osten. Wir waren von den handgefertigten Stickereien der Handwerker*innen fasziniert, die in Orten entlang der Seidenstraße ansässig sind: wie sie mit genauer, sicherer Hand an den Textilien arbeiten, ihr unerschütterlicher Rhythmus, wie sie Farben und Mustern einsetzen, wie stark ihr persönlichen Bezug zu ihren Arbeiten ist. Zur gleichen Zeit setzten wir uns mit der Genauigkeit europäischer und amerikanischer Hersteller*innen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts auseinander, die uns ebenso verzaubern – ihre Fähigkeit etwa, Materialien umzuformen und identische Objekte in großen Mengen serienmäßig herzustellen. Wir leben zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Welten und wollen sie in unseren Stücken vereinen.”

Wir leben zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Welten und wollen sie in unseren Stücken vereinen. Bei Bokja im Studio Foto © Bokja und Aia Atoui
AK:
 Woher stammt der Name Bokja?

HB & MH: Bokja ist türkischen Ursprungs und meint Stoffbündel oder Textilstück, worin geliebte persönliche Habseligkeiten gewickelt werden – oft die Mitgift. Ein Bokja wird in der Regel von mehreren Familienmitgliedern per Hand gestickt. Die Bezeichnung wurde in zahlreichen Regionen des Nahen Ostens übernommen, und auch dort bezeichnet es Textilien, die Erbstücke sind. Unser Studio will eine ähnliches Art des Geschichtenerzählen durch Textilien fortführen und heimische Traditionen rund um Textilien aufrecht erhalten, und sie dabei aus heutiger Sicht neu zu definieren. 

AK: Bokja ist für die aufwendige und  filigrane Designarbeit bekannt, die in jedem seiner Stücke zur Geltung kommt. Wie verläuft der Herstellungsprozess?

HB & MH: Auf unseren Reisen und über Händler*innen sammeln wir Farben, Muster und Ideen. Dieses Stöbern und Sammeln interessanter Textilien ist ein wichtiger Teil unserer Praxis. Es ist unsere Inspirationsquelle und auch immer der Ausgangspunkt unserer Arbeit. Wir setzen die gesammelten Fundstücke spontan zusammen; mit unserem Team von spezialisierten Handwerker*innen nähen wir diese schichtweise zusammen. Dieser Prozess wird solange fortgeführt, bis das neu entstandene Textilstück zu einer Art neuen Haut für das Möbelstück wird.

AK: Wie finden Sie die Mitwirkenden aus Herstellung, Design und Handwerk mit denen Bokja zusammenarbeitet? Welche Qualitäten müssen diese aufweisen?

HB & MH: Unser Studio besteht aus einer Gruppe besonders talentierter Handwerker*innen aus der Region. Die Kunstschaffenden von Bokja stammen aus verschiedenen Ländern wie dem Irak, Syrien, Kurdistan, Ägypten und selbstverständlich dem Libanon. Jede*r Künstler*in bringt eigene Fertigkeiten und umfassendes Know-how über Textilverarbeitungstechniken mit, mit denen sie einzigartige Stücke produzieren. Unser Team wächst durch sein Netzwerk an Sticker*innen stetig an. Jemand lädt eine Bekanntschaft ein und so weiter. Wir suchen vor allem nach Arbeitsmoral, Einsatzbereitschaft und ausgeprägter Neugierde.

AK: Auf der letzten Beirut Design Week mit dem Motto „Design and the City“ hat Bokja eine Reihe von Veranstaltungen mit dem Konzept “Hausbesetzung“ in der ganzen Stadt durchgeführt. Weshalb hat Bokja dieses Thema gewählt und was war die Reaktion der Besucher*innen?

HB & MH: Das Thema Hausbesetzung war für uns aus mehreren Gründen relevant. Wir wollten auf die unzureichend genutzten Räumlichkeiten in Beirut aufmerksam machen und den Dialog zum Erhalt verlassener historischer Gebäude weiter anregen. Zudem waren wir Anfangs selbst auch Hausbesetzerinnen. Einige Jahre lang war eine leerstehende Villa der Sitz unseres Betriebs.

AK: Wird Bokja sich auch in andere Gebiete begeben und Traditionen und Netzwerke außerhalb Beiruts aufnehmen?

HB & MH: Wir möchten unseren Horizont durch die Zusammenarbeit mit bestehenden und relevanten Studios und Einzelpersonen erweitern. So können wir unser Wissen um Textilien ausbauen und neue Chancen wahrnehmen. Zusammenarbeit ist alles. Es ist wichtig, kollaboratives Arbeiten zwischen unterschiedlichen Disziplinen, Branchen und Tätigkeitsfeldern zu fördern, und auch unter Designer*innen.

AK: Was steht für Bokja als Nächstes an?

HB & MH: Das Gleiche wie jeden Abend: Wir versuchen die Welt zu erobern!

 

  • Text von

    • Audrey Kadjar

      Audrey Kadjar

      Audrey ist in Amerika geboren, hat französische Wurzeln und ist in zahlreichen Ländern aufgewachsen. Bevor sie bei Pamono anfing, studierte sie Kunstgeschichte in London und arbeitete in der Kulturindustrie. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist an der perfekten Übersetzung zu arbeiten, schreibt sie für zahlreiche Kulturmagazine, arbeitet an ihrem experimentellen Zine oder vertieft sich in Kunst- und Fotografieprojekte.

  • Übersetzung von

    • Jessica Hodgkiss

      Jessica Hodgkiss

      Jessica ist Cheesecake-Enthusiastin, Kunstliebhaberin und man findet sie häufig auf Flohmärkten. Außerdem liebt sie es, Zeit in Berlins wunderschönen Parks und den Seen in der Umgebung zu verbringen. Die in München geborene Übersetzerin studiert zur Zeit Kunstmanagement im Master.