Die Jasper Morrison Retrospektive im Bauhaus-Archiv


Thingness

Von Anna Carnick

Kürzlich, morgens an einem Wochentag, gab der Brite Jasper Morrison einer kleinen Gruppe Journalisten eine Privatführung seiner ersten großen Retrospektive Thingness im Berliner Bauhaus-Archiv. Morrison zeigte sich charmant und voller Selbstironie und sprach in sanftem Ton. Die Ausstellung dokumentiert über drei Jahrzehnte seiner erfolgreichen Karriere als einer der bekanntesten Designer der letzten fünfzig Jahre. Präsentiert werden Möbel, Küchenutensilien und -geräte, Elektronik, Mode und mehr. Morrison ist dafür bekannt, funktionelle Alltagsgegenstände von schlichter Eleganz zu entwerfen. Gemeinsam mit dem japanischen Designer Naoto Fukasawa prägte er den Begriff „supernormal“, um „leise, außergewöhnliche“ Designs zu feiern, die ihre Konkurrenz übertreffen und überdauern, da sie von Nutzen angetrieben werden, anstatt von Protz. Nur wenige Designer sind solch einer klar formulierten Vision so treu geblieben.

Im Hauptraum werden Gegenstände chronologisch auf einfachen, staffelei-artigen Konstruktionen präsentiert, begleitet von hängenden Archivalien bestehend aus Texten, Zeichnungen und Fotografien. Alles befindet sich absichtlich in Reichweite, kein Glas trennt Betrachter und Objekt. „Ich bin der Meinung, dass Design demokratisch und inklusiv sein soll und nicht zu preziös“, so Morrison. „Und wenn Design ins Museum wandert, dann nur deshalb, weil es alt genug ist, um es verdient zu haben“, meint er mit einem leisen Lachen. „Es gibt vielleicht eine Ausnahme für die dort“, sagt er und verweist auf die Installation, „aber ich mag es gerne, wenn die Stücke beieinander sind.“

Thingness wurde zuerst im CID in Grand-Hornu in Belgien präsentiert. Berlin ist zwar nicht die erste Station, aber die Entwicklung dieser Stadt hat für den Designer eine besondere Bedeutung. Neben den starken Einflüssen des Bauhaus und des Architekten-Designers Marcel Breuer auf sein Werk, absolvierte Morrison 1983 ein Jahr seines Promotionsstudiums an der Berliner Hochschule der Kunst (HdK). Ein paar Jahre später, 1988, lud ihn der Designtheoretiker Christian Borngräber nach Berlin ein, um für die DAAD Galerie eine Installation zu entwerfen. Das Resultat war Some New Items for the Home, Part I, ein roher, karger Raum mit Schichtholz verkleidet - eine starke Abweichung zu der eher fantastischen postmodernen Ästhetik der Zeit.

Morrison zeigt auf eine große Fotografie eines früheren Projektes und denkt daran zurück: „Das war eine starke Reaktion auf Memphis. Als ich zu der [Eröffnung] von Memphis in Mailand ging, kam ich, wie ich mich erinnere, ins Schwitzen. Ich dachte, es handele sich um etwas Großes, an dem ich nicht Teil hätte. Das ist gut und schlecht. Mir gefiel Memphis nicht sehr. Und später, als ich mich beruhigte“ sagt er lächelnd, „formulierte ich langsam eine Antwort. Ich hatte das Gefühl, dass Memphis die Art von Design war, die ausschließlich für Museen, für Sammler, gemacht wird. Das war so weit weg von dem, was ich als Design empfand, woran ich glaubte und Interesse fand. Also war dieser Raum eine Reaktion darauf, um zu demonstrieren, dass Design sich um den Alltag dreht, eben darum, ihn erfreulicher zu gestalten.“ Später meint er: „Dieser Raum brachte meine Karriere ins Rollen.“ Mit Thingness bringt Morrison das „Berlin Zimmer“ zurück in seine Heimat, beinahe dreißig Jahre später.

Als er durch die Ausstellung wandert, bespricht Morrison auch den Einfluss, den skandinavisches Design auf seine Arbeit hat. „Als ich ungefähr drei Jahre alt war, gestaltete sich mein Opa in seinem Landhaus ein Zimmer im modernen Stil. Er reiste regelmäßig geschäftlich nach Dänemark und griff dieses dänische Design Ding auf. Für ein kleines Kind, das damals in England aufwuchs, war der Aufenthalt in diesem Raum [im Gegensatz zu] den üblichen ausgepolsterten Häusern und ihrer Atmosphäre der damaligen Zeit, sehr beeindruckend. Ich glaube, dieses Gefühl ist immer bei mir geblieben.“

Er beschreibt eines seiner bekanntesten Stücke, den Thinking Man's Chair, Jasper Morrison’s Thinking Man’s Chair, 1986, produced by Cappellini Photo by James Mortimer, © Jasper Morrison Ltd
 der ursprünglich von Cappellini produziert wurde und erinnert sich: „Ich habe für kein anderes Produkt so viel gezeichnet wie für dieses. Es war ‘86, glaube ich. [Die Idee] stammte von einem [anderen] Stuhl, den ich gesehen hatte, einer alten Antiquität. Ich glaube, es war ein spanischer Armlehnstuhl, dessen Sitz reparaturbedingt entfernt wurde. Also gab es da nur das Gerüst des Stuhls … Es war eine Art rohes, geschwungenes, aufregendes kleines Ding. Mit dem entfernten Sitz wirkte es sehr modern. Ich nahm diese Idee auf und dachte, vielleicht könnte ich einen Stuhl entwerfen, der nur aus einem Gerüst besteht. Und dann fing ich an zu zeichnen, zu zeichnen und zu zeichnen.“ Das Stück sollte anfangs The Drinking Man’s Chair heißen, aber wie Morrison es in einem der Texte zur Ausstellung beschreibt: „Auf dem Rückweg von einem Tabakhändler, bei dem ich ein Paket Pfeifenreiniger erwarb, um ein Modell des Stuhls zu erstellen, bemerkte ich auf dem Paket den Werbeslogan ‚The Thinking Man’s Smoke‘, den ich schnell als anspruchsvolleren Titel übernahm.“

Der Designer zeigt dann auf ein ausgestelltes Archivdokument und verweist auf einen seiner Grundsätze im Konzept. „Das war ein Text, den ich ‘91 verfasste und der für mich immer noch stimmig ist, wenn es um Design geht. Es geht nicht nur um Form. Natürlich spielt Form eine Rolle. Aber Form kann sich unter all den anderen Zutaten von Design weiterentwickeln, so zum Beispiel die Atmosphäre, die ein Objekt ausstrahlt, die Materialkombination, der Komfort, die Kosten, und alle Sachen zusammen, anstelle, dass jeder endlose Diskussionen über die Form führt. Denn das ist nicht wichtig. Die Form wird entstehen, aber sie ist nicht die wichtigste Sache.“

Thingness beinhaltet auch eine Reihe Fotografien über den Alltag, die Morrison über die Jahre als Inspiration knipste und die durch seine Gedanken ergänzt werden. (Einige davon wurden in seinem jüngst erschienenen Buch The Good Life aufgeführt.) Sie bieten einen wunderschönen, überraschenden Einblick in seinen kreativen Geist. Eine Aufnahme einer, wie er vermutet, Bushaltestelle in Auroville in Indien zeugt von seiner Reflexion über die Komposition des Objektes an sich und der möglichen Interaktionen von Personen mit ihr. In einer weiteren Aufnahme schwärmt er poetisch von der Schönheit einer Ladenfront in Porto, die zahlreiche Räder ausstellte. Morrison erklärt: „Dieses Projekt entstand wirklich aus den Bildern heraus, die ich unterwegs knipse und die nicht direkt etwas mit Design zu tun haben, aber dennoch eine große Rolle spielen hinsichtlich meines visuellen Gedächtnisses von Formen, Dingen und Atmosphären … Die Idee war die einer Art lehrreichen Führers, um zu [verraten, wie] ich die Dinge betrachte und welche Schlussfolgerungen ich daraus ziehe. Ich denke, das ist neben der sterilen Designarbeit ein sehr wichtiger Prozess.“

Außerdem wirft ein Diaprojektor in einer Slideshow Bilder auf die gegenüberliegende Wand der Ausstellungsfläche. Morrison erklärt die Hintergrundgeschichte dazu und erinnert sich an eine frühere Einladung, vor einer Klasse zu sprechen, aber da er „absolut hoffnungslos im Vortragen“, ist, zog er es vor, eine Slideshow aus „lehrreichen Abbildungen“ zusammenzustellen. Dann überreichte er dem Professor die Slideshow und eine Notiz und bat ihm, diese laut vor den Studierenden vorzusprechen. Die Notiz verwies darauf, dass Jasper Morrison kein einziges Wort vor der Klasse sprechen würde, dass er aber dafür eine Slideshow an Abbildungen zusammengestellt habe, von der er hoffte, den Studierenden würde sie gefallen. Und falls sie danach Fragen hätten, erwähnte er mit lachenden, dunklen Augen: „Dann bin ich in der Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite.“

Genau wie sein Werk auch: Unprätentiös. Zugänglich. Niemals protzig, aber unauffällig außergewöhnlich.

Jasper Morrison: Thingness wird im Bauhaus-Archiv/ Museum für Gestaltung gezeigt, ab heute bis Ende Oktober 2017.

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    • Anna Carnick

      Anna Carnick

      Als ehemalige Redakteurin bei Assouline, der Aperture Foundation, Graphis und Clear feiert Anna die großen Künstler. Ihre Artikel erschienen in mehreren angesehenen Kunst- und Kulturpublikationen und sie hat mehr als 20 Bücher herausgegeben. Sie ist die Autorin von Design Voices und Nendo: 10/10 und hat eine Leidenschaft für ein gutes Picknick.
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    • Marco Lehmbeck

      Marco Lehmbeck

      Aufgewachsen ist Marco zwischen Seen und Wäldern in der Nähe von Berlin. Er studiert Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim sowie Fotografie in Berlin. Marco ist Organisationsmitglied des Immergut Musikfestivals für Indie- und Poprock, liebt Backpacking, Club Mate und Avocados. Und er trägt immer einen Hut.

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