Aufstrebende Talente der Stockholm Design Week


Alles ist möglich

Die jährliche Stockholm Design Week ist gerade zu Ende gegangen. Wir können ohne Umschweife festhalten, dass die diesjährige Auswahl an jungen Designern voll von frischen und spannenden Talenten war. Wir stellen hier unsere Favoriten vor, von denen wir glauben, dass wir in den kommenden Jahren noch viel von ihnen hören werden.

Konzeptionelles der HDK

Während Veranstaltungen in der Woche über die ganze Stadt verteilt stattfinden, liegt das eigentliche Herz der Design Week aber in der Stockholmer Möbelmesse selbst. Der Großteil der Messe ist den neuesten Angeboten kommerzieller Hersteller gewidmet. In dem kleineren „Greenhouse“ -Teil jedoch, finden sich ausschließlich junge Talente, die für uns sicherlich die spannendste Seite der Design Week ausmachen.

In diesem Teil der Messe präsentiert die HDK (die Akademie für Design und Kunsthandwerk der Universität Göteborg) auch das Projekt „Almost Complete“ (dt.: „Fast vollständig“), eine konzeptionell orientierte Präsentation von neu erscheinenden Designobjekten, die erst durch eine Interaktion des Betrachters mit dem Objekt den „complete“-Zustand, also den Zustand der Vollständigkeit, erlangen. Eines der Highlights bildete Nihan Aycans mehrere Ebene umfassende, lichtdurchlässige und spiegelnde (un)spaced Installation, ein leinwandartiges Objekt aus Acrylglas und 3M Dichroic Glasdesignfolie. Je nachdem wo man im Verhältnis zu diesem wunderschönen Stück steht, von welcher Seite man es betrachtet, hindurchschaut oder um es herum geht, verändert sich die Wahrnehmung des Raumes. Oder wie Aycan erklärt: „(un)spaced fordert den Betrachter heraus, sich damit auseinanderzusetzen, was virtuell und was real ist und erfüllt seine Funktion durch die Erschaffung illusionistischer Effekte im Raum, die nicht vollständig physisch erfassbar sind.“

Mit einer ähnlichen Herangehensweise legt Mikael Martinsson mit seiner schicken Occa Wandlampe die flüchtige Schönheit eines Sonnenuntergangs in die Hände des Betrachters, während er gleichzeitig die Wirkung einer solchen Handlung hinterfragt. Bewegt man den runden Schirm an der Messingkonstruktion rauf oder runter, so verändert das Licht seine Farbe und Intensität. Laut dem jungen Designer „sind einige Dinge nicht dazu geschaffen, kontrolliert zu werden. Ein Sonnenuntergang ist für viele eine schöne und erfüllende Erfahrung. Die Tatsache, dass er nicht andauert und man ihn nicht kontrollieren kann, bedeutet, dass man ihn in genau diesem speziellen Moment genießen muss. Die Lampe wird dadurch zu einer unvollständigen Paraphrase und zu einer Persiflage des Originals.“


Alte Werte neu aufgelegt bei Capellagården

1960 auf der Insel Öland von der schwedischen Designlegende Carl Malmsten furniture gegründet, ist Capellagården eine Handwerksschule, die sich auf die Herstellung von Möbeln, Keramiken, Textilien und organischen Gartenbau spezialisiert hat. Der Stand der Schule, ebenfalls im Greenhouse-Teil der Messe gelegen, stach besonders durch hervorragende Handarbeit und Handwerkskunst aus der Masse hervor. Die handgefertigten Holzobjekte der Studierenden erinnerten in ihrer Schönheit, Funktionalität und ihrem Komfort an Schwedens Mid-Century Designgrößen und alle riefen sie mehr oder weniger die romantische Vorstellung von grübelnden, nach Inspiration suchenden Designstudierenden hervor, die bis spät in der Nacht in ihrer Werkstatt auf einer idyllischen Insel in Südschweden an ihren Projekten arbeiten – ein beruhigendes Bild, insbesondere, wenn man es den eher kommerziellen Ideen der Messe gegenüberstellt.

Mallgrodan Chair von William Liljeblad Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Designers
Johanna Metsalos unter Dampf gebogener Eichenholzstuhl Jyoti Chair kam – breit und niedrig dem Boden nah, dominiert von einer großen Rückenlehne aus Seilgeflecht – gleichermaßen dramatisch und elegant daher. Peter Pålssons HUA Seat ist inspiriert von „der Ansicht der Modernen, dass Möbel Maschinen sind“ und von verschiedenen Sitzmöbeln, die man in alten Maschinenanlagen und Baufahrzeugen findet (und die gleichzeitig an die eigenartigen Glieder einer Gottesanbeterin erinnern). Der Stuhl besteht aus einem Eichenholzrahmen, einem handgenähten und mit Gemüseöl gegerbten Ledersitz und Armlehnen sowie einer Rückenlehne aus laminierter Birkenrinde, „einer Technik“, so Pålsson, „die regelmäßig in der Herstellung traditioneller Messergriffe in Schweden und Finnland zum Einsatz kommt.“ Der absolute Hingucker aber, war – unserer Meinung nach – William Liljeblads Mallgrodan Chair. Inspiriert von seinen Mid-Century Vorbildern, besticht Liljeblads Stuhl durch exquisite Linien, einer wundervoll „schwebenden“ Sitzfläche mit Rückenlehne und einer aufregenden, visuellen Spannung. Er wirkt gleichermaßen selbstbewusst und grazil in seinem Erscheinungsbild, jederzeit in der Lage die volle Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich zu ziehen. Liljeblad gibt zu: „Ich brauchte rund zwei Wochen um den Stuhl zu zeichnen und zu entwerfen und noch einmal vier Monate um zwei Exemplare zu bauen.“

Bibliophil von Studio Bonpart Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Designers
 
Weitere Greenhouse Hingucker

Neben einer Reihe herausragender Soloprojekte gehörten auch Studio Marfa raffinierte, handgearbeitete Breton Shelves zu den Highlights. Sie versuchten sich in einem Balanceakt. Man fragte sich: Ist das Beton? Ist das Holz? Tatsächlich aber bestanden die Regalteile aus Betonplatten, gegossen in eine flexible Form, die aus natürlichem, von Rinde bedecktem Holz bestand. Das Ergebnis waren organische Holzdetails auf den entstandenen Objekten. Der in Hamburg ansässige Designer Janis Fromm meint dazu: „Das Holz, das im Prozess verwendet wird, hinterlässt seine Struktur wie einen Fingerabdruck auf den Platten.“

Ebenfalls ein Auge warfen wir auf Bibliophil von Studio Bonpart aus Wien – ein Regal aus Eschenholz und pulverbeschichtetem Stahl mit magnetischen Punktstrahlern, die ganz nach Wunsch des Nutzers ausgerichtet werden können. Der in Dänemark geborene und in Herning lebende VIA Designstudierende Mathias Bek spielte mit seiner Bliss Lampe mit der Macht der Reflexion, indem er auf Kupfer, Beton und pulverbeschichteten Stahl zurückgriff. Glaubt man dem lebhaften jungen Dänen, wurde er „inspiriert vom Licht des Blutmonds und der Oberfläche der Planeten unseres Sonnensystems.“ Das vielleicht überraschendste und spaßbringendste Objekt der Design Week war jedoch Evelina Kollberg monumentales Människofällan (Menschenfalle), eine außerirdisch anmutende, gehäkelte Skulptur, die als Spielplatz für Erwachsene diente. „Als Frau ehre ich die weibliche Handwerkstradition des Nähens und maximiere das Volumen, das die Figur im Raum einnimmt.“

 

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft in Stockholms Auctionsverk

Schlussendlich und fern der Messehallen präsentierten Stockholms Auctionsverk und Svensk Form mit Young Swedish Design: Past, Present, Future eine Ausstellung und Auktion mit Arbeiten der Ug Svensk Form (Junges Schwedisches Design) Preisträger der vergangenen 18 Jahre – sicherlich eine der am meisten inspirierenden Shows der Design Week und eine Hommage an Schwedens unaufhörlichen Output junger Designtalente. Die Ausstellung zeigte mit Preisen ausgezeichnete Stücke neben neueren Objekten der gleichen Designer. Kurator und Designer Nick Ross stellte die Frage: „Wo sind sie jetzt?“ und erhielt durch die Ausstellung einige wundervolle Objekte als Antwort. Erwähnenswert sind vor allem Petra Liljas Neon Sky LampeKatrin Greiling minimalistische DREI Hängeleuchte, Stücke von Ross' eigener Serie Little White Lies und Jenny Ekdahls Schrank Dear Disaster.

 

Es war ganz sicher eine fantastische Woche und vor allem auch eine, von der wir beladen mit neuen Ideen nachhause fahren. Halten Sie unbedingt die Augen offen nach zukünftigen Arbeiten dieser aufstrebenden Designer!

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