Zwei Herzensprojekte sollen Kubas kreative Szene fördern


Szenen aus Havanna: Teil 3

Von Anna Carnick

Manchmal ergibt sich ein Plan einfach so. Andere Male... andere Male erfordert es einigen Aufwand, aber das macht das Endresultat häufig umso schöner. Ein Beispiel hierfür? Havannas Fábrica de Arte Cubano (oder FAC), das wohl aufregendste Kunstzentrum nicht nur der Stadt, sondern des gesamten Landes.  

FACs riesige, in einer ehemaligen Erdnussölfabrik im Vedado Bezirk gelegene Anlage, die an ihrem majestätischen Schornstein in verblichenen Buchstaben noch den Namen des Speiseölunternehmens El Cocinero zur Schau trägt, bietet die Gelegenheit alle kreativen Communities Kubas gemeinsam an einem Ort zu sehen. Es ist, wie der Architekt und FAC 

Kurator Ernesto Jiménez García es nennt „das Haus aller Künstler.“ Im Alter von bald zwei Jahren, hat FAC ein großes, multidisziplinäres Performance-, Ausstellungs- und Bildungsprogramm aufzuweisen und begrüßt jede Woche tausende Besucher (es bilden sich durchaus Schlangen vor der Tür) in Ausstellungsräumen, Musiksälen, Kino und Bars.

Der Raum ist aus mehreren Gründen bemerkenswert, nicht zuletzt aufgrund der Zusammenführung der Künste und der Tatsache, dass er ohne Vorbild geschaffen wurde. „Wir wissen von keinen anderen Projekten, die alle Künste zusammenbringen, wir glauben es ist einzigartig.“

Doch es dauerte lange dieses Projekt umzusetzen. Eine Gruppe kubanischer Kreativer—angeführt von dem bekannten Fusion-Musiker und Komponisten X Alfonso—war jahrelang auf der Suche nach einem Ort, der es ihnen erlauben würde kubanische Künstler aller Couleur—Fotografen, Designer, Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Tänzer und mehr—unter einem Dach zusammenzubringen. Letztendlich wurde ihr Traum im Februar 2014 umgesetzt, als sie die Türen der FAC öffneten, um einen Raum anzubieten, der sich sowohl für die Künste einsetzt als auch einen beständigen Ort bietet, an dem sich unterschiedliche Generationen und künstlerische Disziplinen treffen und Ideen austauschen können. Laut Jiménez García hatte dies innerhalb des relativ kurzen Zeitraums „bereits großen Einfluss sowohl auf die künstlerische Gemeinschaft als auch auf die Gemeinschaft insgesamt.“

FACs Gebäude gehört dem Kulturministerium, aber es wird eindeutig von der Leidenschaft und Energie der experimentellen Kollaborateure, aus deren Vision es entstanden ist, angetrieben. Die Künstlerin und FAC-Kuratorin Sofia Marques de Aguiar drückt es so aus: Die Regierung hat uns das Gebäude, die Ruinen, und einen Betrag zur strukturellen Instandsetzung gegeben, was eine große Hilfe war. Dann haben wir angefangen, es zu putzen und zu streichen. Anfangs haben wir unsere eigenen Möbel und unsere Heimkino-Projektoren mitgebracht, um Filme zu zeigen. Die Leute fingen an zu kommen, es kamen immer mehr und bald waren wir selbsttragend.“ Es scheint so, als sei die Community, und nicht nur die Gründer, hungrig nach einem Ort wie diesem gewesen. FACs Team hat dieses Bedürfnis stolz und gemeinsam erfüllt.

FAC wächst weiterhin rasant. Während eines kürzlichen Besuchs waren die Bauarbeiten für eine Anzahl neuer Büros und Besprechungsräume, ein Kino, ein Restaurant, eine Terrasse und ein Ruheraum für Künstler angelaufen, alle aus Schiffscontainern und unterschiedlichen upcycelten Materialien zusammengesetzt. Sie arbeiten außerdem daran, ihr Bildungsangebot zu erweitern, um in naher Zukunft Workshops für Fachleute, nicht nur für Kinder, anzubieten. Und das ist noch längst nicht alles. Die Veranstalter planen, FACs multidisziplinäre Herangehensweise an die lokale Gemeinschaft mit der Eröffnung der Fábrica de Arte Internacional bald international zu teilen.

So ein Projekt war vor 5 Jahren undenkbar. Und obwohl FACs kreative Community und Angebote an sich schon aufregend sind, sind sie auch aufgrund dessen bemerkenswert, was sie im weiteren Sinne bezüglich Kubas Kultur—kreativ oder sonstiges— repräsentieren. „Ein Projekt wie dieses wäre noch vor fünf Jahren undenkbar gewesen,“ sagt Jiménez García. Was hat sich also verändert? Dank neuer Gesetze, die Möglichkeiten zum unabhängigen Unternehmertum bieten, der Einführung von Verträgen, die beide Seiten einer professionellen Partnerschaft schützen und einem gestiegenen Zugang zu Rohstoffen, gibt es langsam mehr Möglichkeiten zusammen zu arbeiten. Im Fall von FAC beispielsweise, decken die Ticketverkäufe viele Kosten; und die Bars und der Designshop werden an Einzelpersonen vermietet, die das relativ neue Cuentapropistas-Gesetzt ausnutzen, welches berufliche Selbstständigkeit erlaubt. (Diese Unternehmen zahlen ebenfalls Steuern an den Staat.) Die Auswirkungen dieser Veränderungen zeigen sich langsam, aber, wie Jiménez García sagt, „es findet ein Wandel statt.“

Das Gebäude, das FAC beheimatet, gehörte einst einem Stromkonzern, einer Erdnussölfabrik und dem Ministerium für Fischerei. Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Fábrica de Arte Cubano
Jiménez García glaubt daran, dass noch mehr Veränderungen geschehen werden, auch wenn abzuwarten bleibt wann. Als ich fragte, ob er optimistisch in die Zukunft blicke, mit Rücksicht auf alles, was er mit FAC erreicht hat, antwortet er mir: „Es ist weniger Optimismus als der Glaube daran, dass etwas passieren
muss. Das Land verändert sich zwangsläufig, weil es einfach muss. Es konnte den Weg, den es eingeschlagen hatte, nicht weitergehen. Es geht darum, auf die Realität, die einem auferlegt wird, zu reagieren. Das Problem ist, dass wir über etwas so Komplexes sprechen wie die Art zu verändern, wie die Leute denken. Das wird dauern.“

Genau aus diesem Grund ist FAC so wichtig; FAC inspiriert nicht nur Menschen, indem die Künste geteilt und gepflegt werden, sondern erweitert auch den Horizont der Leute, bezüglich dessen, was allgemein möglich ist. „Ein Projekt wie dieses,“ sagt Jiménez García sehr ernst, „macht, dass ich glaube, dass sich die Wirklichkeit verändern kann und wird.“

 


 

Das neue digitale Magazin D aquiwird von einem ähnlichen Geist angetrieben. Dessen Gründer, das Ehepaar Sandra Fernández und Yorlán Cabezas Padrón, konzipierten und gründeten die designorientierte Plattform 2015. „In Kuba hat es über die letzten zwei Jahre oder so eine steigende Zahl an Kommunikationen [oder Publikationen] zu unterschiedlichen Themen gegeben. Aber keine von ihnen sind auf Design spezialisiert. Und wenn sie über Designthemen berichten, dann sind generell immer etablierte Designer das Thema, nicht jüngere oder weniger bekannte Designer. Wir sahen einen Bedarf nach einer Kommunikation, die an die kubanische Designcommunity angepasst ist,” so Fernández.  Außer Design beinhaltet das Magazin auch andere bildende Künste und Architekturprojekte. Fernández drückt es so aus: „Wir möchten das Verständnis der Leute bezüglich der Verbindungen zwischen Kunst und Design verbessern.“

Im Moment sind so viele bildende Künstler und Designer anonym, wir wollen ihnen eine Bühne geben. Das Projekt entsteht komplett aus eigener Kraft. Das Magazin ist kostenlos und Fernández und Cabezas Padrón entwickeln und produzieren alles selber, lediglich ein Übersetzer hilft ihnen. Fernández arbeitet hauptberuflich in der Informatik und Cabezas Padrón ist freier Grafikdesigner und Illustrator. Das Magazin, welches sie alle zwei Monate veröffentlichen wollen, machen sie in ihrer Freizeit. (Spannenderweise hat ihnen die Norwegische Botschaft in Havanna kurz bevor dieser Text geschrieben wurde, finanzielle Unterstützung für das Projekt angeboten.) D aqui enthält Portraits und Interviews von und mit kreativen Talenten aus einer Vielzahl an Feldern, dazu Portfolios, Ankündigungen relevanter Veranstaltungen und Wettbewerbe, Buchempfehlungen, Artikel zu historischen Ikonen und mehr—die Arbeit würde locker für ein größeres Team reichen. Aber die Anstrengungen lohnen sich, sagt Fernández. „Es ist ein persönliches Projekt zu einem Thema, das wir lieben. Es inspiriert uns. Es ist außerdem wichtig für unsere eigenen Portfolios und wir lernen viel.“

Zusätzlich zu ihren Vollzeitjobs und D aqui, arbeiten die beiden mit Geo-Gráficas, einem anderen jungen, kubanischen, designfokussierten Projekt, zusammen. Geo-Gráficas hat einen mehrdimensionalen Ansatz, indem es eine inhaltsreiche Website betreibt—soweit wir wissen die einzige ihrer Art—und Designwettbewerbe, Ausstellungen, Workshops und mehr organisiert. Fernández und Cabezas Padrón sehen D aqui als direkte Folge ihrer Mitwirkung an dieser Seite. Nachdem sie mit Geo-Gráficas an einer Ausstellung arbeiteten, die im Februar 2015 in der FAC gezeigt wurde—und, wie Cabezas Padrón stolz betont, eine rekordverdächtige Besucherzahl am Eröffnungsabend hatte—fühlten sich Fernández und Cabezas unglaublich inspiriert von den Reaktionen. Sie liebten das Gefühl, die kreative Community zu unterstützen und wollten noch mehr tun.

„Wir glauben, dass das Magazin, so wie Geo-Gráficas, sehr gut für Designer und Künstler sein wird. Wir hoffen, es lässt für sie Möglichkeiten entstehen, mehr Arbeit zu finden. Im Moment sind so viele bildende Künstler und Designer anonym, wir wollen ihnen eine Bühne geben.“

Und genau das tun sie—mit scheinbar endloser Energie. Genau wie FAC hilft D aqui dabei, die kreative Identität der Stadt zu formen, indem sie den dort existierenden Talenten einen Spiegel vorhalten. Es ist eine Gemeinschaft, die deutlich von Individuen angetrieben wird, die sich freuen, Möglichkeiten für sich selbst zu kreieren. Und von der Überzeugung, dass der Weg zu Erfolg und kreativer Freiheit dadurch entsteht, dass man die Personen um sich herum unterstützt. Es gibt einen Glauben daran, dass sie gemeinsam Erfolg haben werden. Und es ist wunderschön anzusehen.

 


  

Halten Sie Ausschau nach unserem abschließenden Bericht von unserem Besuch in Havanna! Und lesen Sie außerdem Teil 1 und Teil 2 unserer Reise für mehr Interviews mit Designern, die helfen, Kubas kreative Szene zu formen.

 
  • Text von

    • Anna Carnick

      Anna Carnick

      Als ehemalige Redakteurin bei Assouline, der Aperture Foundation, Graphis und Clear feiert Anna die großen Künstler. Ihre Artikel erschienen in mehreren angesehenen Kunst- und Kulturpublikationen und sie hat mehr als 20 Bücher herausgegeben. Sie ist die Autorin von Design Voices und Nendo: 10/10 und hat eine Leidenschaft für ein gutes Picknick.

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