Eine neue Generation von Redakteuren bietet Designern einen alternativen, personalisierten Produktionsweg.


Neue Welle

Von Chris Chafin

Jerome Aumont hatte Glück im Unglück, als er in seinen frühen Vierzigern, nach zwanzig Jahren als Journalist in seiner Heimat Frankreich, einen anspruchsvollen Job als Chefredakteur des ehrwürdigen Verlages Maison Française bekam. Allem Anschein nach, hätte er außerordentlich zufrieden sein müssen; etwas jedoch tangierte ihn.

„Ich habe ziemlich viele Designer getroffen,“ erzählte er mir kürzlich bei einem Telefongespräch, „und hatte das Gefühl, dass die Menschen in der Designwelt die schlechte Gewohnheit hatten, schöne Objekte oder Möbelstücke auf ein- Tut mir leid, ich kenne das englische Wort nicht- Piédestal zu stellen. Heißt es bei euch auch so?“ Ich versicherte ihm, dass es das gleiche Wort war. Er hatte eine Vision etwas zu schaffen, das die Rolle einer Galerie, eines Produzenten und eines Laden vereinte: Etwas, das begehrte und dennoch erschwingliche Designstücke beherbergen und dabei nicht potenzielle Käufer einschüchtern würde, sodass die Designer hinter den Stücken ihren Lebensunterhalt verdienen könnten.

Er überlegte, wie er tolle Werke relativ neuer Designer, die noch nicht in der hochrangigen Designwelt zugange waren, zusammen bringen konnte. Viele von ihnen kannte er noch aus seiner Zeit bei Maison Française. Zusätzlich schien es in seiner Natur zu liegen, zu sammeln. „Ich war schon immer ein Sammler,“ sagte er. „Seit meiner Kindheit sammelte ich sinnlose Dinge, also ja, ich bin eine etwas besessene Person.“ Vielleicht gab es einen Weg seine obsessiven Verlangen für etwas Produktives zu nutzen?

Aumont gründete das Collection Particulièreein wachsendes Portal an Design-Abbildungen, die nicht von Designern, nichtmal in Zusammenarbeit mit Designern, sondern von Design Liebhabern gegründet wurde. Diese Unternehmen umfassen alle Schritte des Designprozesses, von der Idee bis hin zum finalen Verkauf und allem was dazwischen liegt. Die Besitzer arbeiten eng mit Designern zusammen, um Stücke zu kreieren, die ihrer einzigartigen Vision entsprechen. Möglicherweise werden ihre Kollektionen auch um ein paar existierende Stücke ergänzt, die zu ihrer Ästhetik passen, aber noch keine Vertriebsplattform finden konnten. Man kann sie die éditeurs nennen, ihrer besonderen französischen Sensibilität wegen. Diese Menschen sind von der Schönheit des Designs berührt, haben ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Nachwuchsdesignern oder sind schlicht abhängig von der Freude, die ihnen das Entdecken neuer, unwiderstehlicher Werke bereitet. In den vergangenen Jahren haben sie sich rasch ausbreiten können.

„Als wir 2010 begonnen haben, hatten wir nur zwei Konkurrenten in Frankreich,“ erzählt mir Alaric Miaume, der Teil des Teams von Specimen Editions ist, das in Paris und L.A. ansässig, ist. „Jetzt haben wir vielleicht 15. Es gab einen regelrechten Boom.“ Specimen Editions Stücke sind meist funktional- Stühle und Lampen mit klassischen Formen, die durch überraschende Größen und Materialien interpretiert werden- und Miaume sieht sich selbst hauptsächlich als Geschäftsmann.

„Eine der Qualitäten, die wir an einem Designer besonders mögen, ist die Fähigkeit, nicht nur eine Idee, sondern auch ein echtes Projekt zu liefern,“ sagte er. „Unser Job ist es im Endeffekt ein Projekt zu wählen und daraus ein Produkt zu machen.“ Specimen Editions sehen sich genau die von Designern vorgeschlagenen Materialien für vorgesehene Projekte an, untersuchen den Markt nach Lücken und sehen zu, dass der Stil des neuen Designers mit keinem anderem kollidiert. Nur dann schreitet das Unternehmen mit dem Objekt voran. Während Miaume über seine Ambitionen erzählt, merkt er an, dass sein Unternehmen „nicht groß genug ist, um mit Ikea zu konkurrieren,“ jedoch scheint er zu implizieren, indem er es erwähnt, dass dies vielleicht nicht immer der Fall sein wird.

Aumonts Ziele sind mehr an seine Vision gelehnt als an das pure Geschäft. Das letzte Stück, das er zu  Collection Particulière hinzugefügte, war die Balka Anrichte des Designers Grégoire de Lafforestdie letztes Jahr herausgebracht wurde. Es ist ein eigenartiges Objekt, ein langes, schmales Holzstück, das auf dünnen, dunklen Beinen steht und eine flache Tischplatte aufweist, die einen bauchigen Ledersack unter einem Ende hängen hat, der an den Schnabel eines Pelikans erinnert. „Für mich war es die wahre Kunst, die ich erreichen wollte,“ sagte Aumont. „Etwas zwischen einem Möbelstück und einem objet d’art. Etwas sehr skulpturales, mysteriöses, denn meistens verstehen Menschen nicht, wie es es funktionieren soll, wenn sie es zum ersten Mal sehen.“ Er musste es einfach haben.

So machte Aumont de Lafforest ausfindig und aus ihrer Unterhaltung sollte sich die Blaupause für seine weitere Arbeit ergeben. Er erklärte das Konzept hinter Collection Particulière, und beide arbeiteten zusammen an einigen Prototypen, bis sie auf ein originelles Objekt stießen, dass sie in ihre Kollektion aufnahmen (ein Prozess, den Aumont seitdem mit fünf anderen Designern wiederholt hat). Ein neues Stück, das de Lafforest schuf, ist der Bricks Beistelltisch – ein leicht wunderliches Set aus drei rechteckigen Objekten mit inneren Fächern, die in verschiedenen Positionen genutzt werden können, und sich je nach Ausrichtung in Bänke, Tische oder Bücherregale verwandeln können. Natürlich verkauft Aumont jetzt die Balka Anrichte. „Dies ist das einzige Mal, dass ich ein Projekt gekauft habe, dass schon existierte,“ sagte er.

Margherita Ratti, der Kopf hinter dem zweijährigen Unternehmen Great Designteilt Aumonts Leidenschaft für außergewöhnliche Objekte, vor allem solche, die in paradoxer Weise Einfachheit und Mysterie verkörpern. Ihre Ästhetik ist in einer Bank dreier junger Schreiner mit dem Namen Perron & Frères verkörpert, so Ratti. Hergestellt aus zwei dünnen Platten aus gefundenem Ahorn, die die ursprüngliche Form des Baumes wiedergeben, sind sie geteilt und verbunden durch „eine Technologie die man nicht sehen kann“, sagte sie mir. Diese Technik macht Un Bank (2014) zu einem einzigartig leichten und zugleich stabilen Stück. Es ist ein Stück, das sie wünschte mit nach Hause nehmen zu können.

Ein neues Projekt ist auch eine neue Geschichte, ein neuer Anfang, eine neue Möglichkeit.

Ratti, auch in Paris ansässig, macht halbtags die Kommunikationsarbeit für Architekten und Designer, und öffnet dann die Galerieräume von Great Design. Was sie motiviert? „Ich liebe es, überrascht zu werden,“ sagte sie. Sie erfreut sich daran, neue Arbeiten zum ersten Mal zu sehen, neue Designer zu finden, mit denen sie zusammenarbeiten kann und Teil daran zu haben, ihre Träume zur Realität zu verhelfen. „Ein neues Projekt ist auch eine neue Geschichte, ein neuer Anfang, eine neue Möglichkeit“, so Rotti.

Klar ist, dass jeder der éditeurs die Idee, eine persönlich kuratierte Auswahl an Geschichten durch produktive Beziehungen zu Designern zum Leben zu erwecken nicht nur als innovatives und flexibles Geschäftsmodell sehen, sondern als ein Projekt der Leidenschaft. „Es ist eine wunderschöne Geschichte,“ erzählte mir Aumont, über seine eigene Arbeit, aber im weiteren Sinne sprach er für sie alle. „Collection Particulière ist für für mich das schönste, was ich mir nur vorstellen kann, weil es mein Kind ist. Es ist mein geliebtes Kind.“

  • Text von

    • Chris Chafin

      Chris Chafin

      Chris is a Brooklyn-based writer who's contributed to publications like Rolling StoneWiredFast Company, and The Awl. He'd be flattered if you'd consider following him on Twitter

  • Übersetzung von

    • Beata Konnak

      Beata Konnak

      Als gebürtige Polin lässt Beata nichts auf ihre Pierogi kommen. Ihre Kreativität lebt sie gerne in der Küche aus, wo sie zu Deutschrap den Kochlöffel schwingt. Als Sommerkind lässt sie keine Chance aus ein paar Sonnenstrahlen abzubekommen, und ist dann meistens mit einem guten Buch in der Hand unterwegs. Die Wochenenden verbringt sie am liebsten mit Kurztrips durch Europa, wo sie immer auf der Suche nach dem schönsten Sonnenuntergang ist.