Ein Interview mit einem unserer Lieblingsdesigner, Nacho Carbonell


Nacho! Nacho! Nacho!

Von Anna Carnick

Nacho Carbonell sieht seine Objekte als potenziell lebende Organismen – Kreaturen, die jeden Moment zum Leben erwachen und uns überraschen können. Der in Spanien geborene und in Eindhoven lebende Designer fesselt den Betrachter mit seinen von Charakteren und Geschichten angetriebenen Arbeiten, die das Natürliche und Imaginäre verbinden und zur Interaktion und zum Nachdenken anregen. Carbonell beschreibt seinen Design-Ethos folgendermaßen: „Ich möchte Objekte schaffen, die fiktionale oder fantastische Elemente vereinen und uns die Flucht aus dem Alltag gewähren.“

2007 erregte Carbonell mit seinem Abschlussprojekt für die Design Academy Eindhoven zum ersten Mal Aufmerksamkeit. Pump It Up ist ein mit Luft und Schaumstoff gefüllter Sessel, der die Körperform seines Benutzers annimmt, während dessen Gewicht gleichzeitig eine Reihe von aufblasbaren Kreaturen aufpumpt, die mit dem Sessel verbunden sind.

Auch sechs Jahre später bemüht sich der lebhafte Designer immer noch, Verbindungen und Wechselbeziehungen in einer Kombination aus Handwerk, Design und Kunst zu vereinen. Dazu gehören unter anderem die Möbelserie Evolution, die sich mit dem Zusammenleben im öffentlichen Raum befasst und als Rückzugsort vor dem heutigen „Informationsexzess“ gedacht ist; der Tree Chair, der unbedingt ein Baum sein möchte; und Luciferase, eine Reihe von primitiven „lichtproduzierenden Kreaturen”. Inspiriert sind letztere von einem Enzym, das Photone produziert und in den leuchtenden Organen von bestimmten Pflanzenarten gefunden werden kann.

Wir haben mit Carbonell darüber gesprochen, wie er Designer geworden ist, wie er arbeitet und welche Rolle Designer seiner Meinung nach in der heutigen Welt spielen.

Anna Carnick: Wann wurde Ihnen das erste Mal bewusst, dass Sie Designer werden möchten?

Nacho Carbonell: Das ist einfach so passiert. Ich war mein ganzes Leben lang ein ziemlich schlechter Schüler. Nach der Highschool wusste ich also erstmal nicht, wie es weitergehen soll. Zum Glück hatte meine Familie ein Jahr zuvor einen amerikanischen Austauschschüler aufgenommen. Dieser lud mich ein, zu ihm in die kleine Stadt Goshen in Indiana zu ziehen.

Wir leben in einer Welt, die sich durch Technologie ständig verändert. Die Aufgabe des Designers ist es, Menschen dabei zu helfen, diese Veränderungen zu verstehen und sich mit ihnen wohl zu fühlen. AC: Waren Sie da zum ersten Mal in den USA?

NC: Ja. Ich war achtzehn Jahre alt und weil ich bereits mit der Schule fertig war, verbrachte ich dort sechs Monate und besuchte in der örtlichen Highschool Kurse, die mir tatsächlich Spaß machten —Keramik, Fotografie und Holzarbeit. Das inspirierte mich wirklich sehr. Man hat dabei immer mit den Händen gearbeitet. Ich glaube, das war ein entscheidender Punkt für mein Interesse.

Als ich zurück nach Spanien kam, hatte ich noch keine Ahnung von Design. Aber dank meiner Mutter schaute ich mir die örtliche Designhochschule [Cardenal Herrera University] an. Als ich sah, dass sie Werkstätten für Keramik, Fotografie und Holzarbeit hatten, wusste ich, dass ich hier genau richtig war. Ich fühlte mich zum ersten Mal von einer Schule motiviert und ließ mich vollkommen darauf ein. Am Ende des ersten Jahres wusste ich, dass das mein Fachgebiet ist.

AC:  Nach dem Grundstudium sind Sie an die Design Academy in Eindhoven gewechselt. Im Anschluss an Ihre Ausbildung konnten Sie dann Praktika bei einigen ziemlich bekannten Designern machen. Was haben Sie bei der Arbeit mit Vincent de Rijk und Joris Laarman gelernt?

NC: Von Vincent habe ich gelernt, wie man mit den Händen arbeitet, wie wertvoll Zeit ist und wie hart man arbeiten muss, um wirklich etwas zu erreichen.

Als ich bei Joris anfing, hatte er auch gerade erst seinen Abschluss gemacht. Er war sehr jung, aber schon früh sehr erfolgreich. Ich wollte etwas von seiner beeindruckenden Energie mitnehmen und aus ihr lernen. Ich war bei einigen seiner Projekte dabei und zu sehen, wie ein so junger Mensch mit so viel Arbeit umgeht, war sehr inspirierend. Dort habe ich gelernt, mir selbst immer wieder zu sagen: „Ich kann das auch!“

AC: Seit wann haben Sie Ihr eigenes Studio?

NC:  Ich machte meinen Abschluss im Februar 2007 und im Grunde habe ich schon am nächsten Tag angefangen, mein eigenes Studio aufzubauen. Seitdem arbeite ich ununterbrochen.

AC: Wie würden Sie die Räumlichkeiten und die Mentalität Ihres Studios beschreiben?

NC:  Wir haben vor ungefähr eineinhalb Jahren neue Räumlichkeiten bezogen. Dieser Ort machte es möglich, uns in verschiedene Abteilungen aufzuteilen. Mein Studio ist im Grunde ein Forschungszentrum, in dem wir Materialien und Objekte entwickeln. Es gibt einen Bereich für Metallarbeiten, einen für Holzarbeiten und einen Nassraum —wo wir mit Putz, Beton und ähnlichem arbeiten— und dann gibt es noch eine Ecke, die wir vor allem für Textilarbeiten nutzen. Wir haben außerdem einen zentralen Bereich, wo ich gerne die Experimente aus den unterschiedlichen Abteilungen zusammenbringe um dann mit allen gemeinsam am Endprodukt zu arbeiten.

Was mein Team angeht, das sehe ich als Teil meiner Familie. Wir verbringen den ganzen Tag miteinander, angefangen um 9 Uhr beim Frühstück. Das ist eine entspannte Art, um in den Tag zu kommen und gleichzeitig sind so alle pünktlich da! Es gibt dann ein Briefing und ich spreche darüber, was an dem jeweiligen Tag erledigt werden muss. Essen ist immer wichtig —ich glaube, das liegt an der spanischen Kultur. Das nächste Mal versammeln wir uns dann zum Mittagessen und jeweils eine Person kocht für das gesamte Team. Normalerweise sind wir so um die zehn Leute, was für manche zunächst eine Herausforderung sein kann. Aber wir haben uns alle daran gewöhnt und es ist gut, um uns untereinander besser kennen zu lernen. Und weil wir uns miteinander wohlfühlen, können wir dann auch die gemeinsamen Überstunden besser verkraften. [lacht]

AC:  Das hört sich gut an. Wie hat sich Ihrer Meinung nach Ihre Arbeit über die letzten sechs Jahre verändert?

NC: Ich habe schon immer nach meinen Grenzen gesucht. Nach meinem Abschluss dachte ich, dass ich mit dem Pump It Up Projekt bereits an meine Grenzen gestoßen wäre. Und auch nach sechs Jahren glaube ich immer noch, dass diese erste Arbeit mein Meisterwerk sein könnte. Ich möchte also immer herauszufinden, ob ich etwas noch Besseres schaffen kann. Das hält mich auf Trab, ganz nach dem Motto: Wie können wir unseren eigenen Rekord einstellen?

AC: Wie sehen Sie die Rolle von Designern in der heutigen Welt?

NC: Für mich muss ein Designer eine sehr analytische Person sein —ein Gespür für das haben, was um ihn herum passiert, soziales Verhalten untersuchen und neue Wege finden, wie wir uns an unsere Umgebung anpassen können. Ich denke, wir leben in einer Welt, die sich durch Technologie ständig verändert. Die Aufgabe des Designers ist es, Menschen dabei zu helfen, diese Veränderungen zu verstehen und sich mit ihnen wohl zu fühlen.

AC: Was macht Sie als Designer besonders glücklich?

NC: Dinge zu kreieren. Und der Gedanke, dass man am Ende des Tages ein Objekt anschauen kann, das man zusammen mit seinem Team gemacht hat —etwas, das auf einer Idee in deinem Kopf heraus wachsen und gedeihen konnte. Ich glaube, das ist das größte Glück, das eine kreative Person haben kann.

AC: Und wie finden Sie eine Balance zwischen Ihrer Arbeit und Ihrem Leben? Oder fließt das irgendwie alles zusammen?

NC:  Leider —oder zum Glück— ja. Es ist sehr schwer, Privatleben und Arbeit zu trennen. Wenn ich an einem neuen Produkt arbeite, dann kann ich nicht einfach nach Hause gehen und am nächsten Tag daran weiterarbeiten. Mein Gehirn arbeitet dann pausenlos. Und wenn man eine Deadline hat, dann ist es nicht nur der Kopf, sondern auch der Körper, der arbeiten muss. Weil man will, dass dieses Ding fertig wird —und das gut und pünktlich— kann man keine Kompromisse eingehen, zumindest ich nicht. Ich kann nicht sagen “Ok, ich mache Schluss für heute und morgen geht es weiter.”

AC:  Lassen Sie uns über einige Themen sprechen, mit denen sich Ihre Arbeiten befassen. Können Sie die Bedeutung von Interaktion und Verbundenheit erklären —also welche Verbindungen wir miteinander, mit Objekten und mit unser Umgebung eingehen?

NC:  Ich habe das Gefühl, dass wir alle miteinander verbunden sind. Irgendwie sind wir auch mit der Natur verbunden und mit der Kunst.

Manchmal sind wir besessen von unserem eigenen Besitz. Ich denke oft über diese Besessenheit nach —wir teilen sie nicht miteinander, sondern mit den Objekten, die uns umgeben. Ich frage mich dann: “Warum passiert das?“ Ich glaube, das führt dann wieder zurück zu meinem Pump It Up Projekt und dem Gedanken, dass wir alle von unserem Verlangen nach Objekten dominiert werden, die Objekte aber nie wirklich nach uns verlangen. Ich meine, ein Objekt braucht uns nicht wirklich, um zu existieren. Es scheint aber, als würden wir manche Objekte brauchen —wie beispielsweise einen Spazierstock, um besser gehen zu können oder ein Telefon, um zu kommunizieren. Deswegen wollte ich das Objekt dazu bringen, irgendwie nach uns zu verlangen oder uns zu brauchen, um seine Schönheit und Funktion zeigen zu können. Und ich wollte eine echte Symbiose zwischen dem Benutzer und dem Objekt schaffen, von der beide profitieren.

Diese Idee von Verbindung habe ich verinnerlicht und ich versuche, sie als roten Faden für all meine Arbeiten zu sehen.

AC: Viele Ihrer Arbeiten scheinen mit ihrem verspielten Charakter und Hintergrundgeschichten dazu aufzufordern, aus dem Alltag zu entfliehen, entweder physisch oder psychisch. Welche Rolle spielt Eskapismus oder die Vorstellung eines Rückzugsortes für Ihre Arbeit?

Nacho Carbonell bei der Arbeit Foto © Studio Nacho Carbonell
NC: 
Ich würde es nicht als Flucht bezeichnen, es geht dabei mehr um Selbstreflexion oder die Möglichkeit, sich selbst besser zu verstehen. Erst wenn man sich selbst wirklich kennt, kann man richtig mit dem Rest der Welt kommunizieren.

Ich glaube, das beruht auf meinen persönlichen Erfahrungen. Zum Beispiel der Umzug von Spanien nach Holland —von einem Ort, an dem ich mir ein Netzwerk aufgebaut hatte, an einen Ort, an dem ich mich manchmal etwas einsam fühle, weil ich die Dinge in einem anderen Kontext betrachte —das war eine sehr entscheidende und aufschlussreiche Veränderung für mich. Sie hat mir dabei geholfen, mich selbst besser kennen zu lernen und meinen Kokon als stärkere Persönlichkeit zu verlassen.

Meine erster großer Selbsterfahrungs-Trip waren wohl die sechs Monate in Goshen, Indiana. Da habe ich mich auch einsam gefühlt. Oder vielleicht ist einsam nicht das richtige Wort, aber es war eine Zeit, in der ich mich als Person weiterentwickelte, weit weg von allem Vertrauten —meiner Familie, Freunden und der gewohnten Umgebung. Letztendlich denke ich, dass man nichts für sich selbst herausfinden kann, wenn man immer nur von dem angetrieben und geformt wird, was einen direkt umgibt. Mit meinen Arbeiten versuche ich, über diese Annahme zu sprechen und zu fragen: “Okay, wer bist du wirklich? Verbringe etwas Zeit mit dir selbst und fürchte dich nicht davor, herauszufinden, wer du wirklich bist.“ Verstehen Sie, was ich meine?

AC:  Auf jeden Fall. Aus reiner Neugier: Als Sie das erste Mal in die USA kamen, war ihr Englisch da schon gut?

NC: Nein, es war noch schlechter als jetzt. [lacht]

AC: Jetzt ist es hervorragend!

NC:  Meine Englischkenntnisse waren eher gering, aber ich konnte mich trotzdem mit den Leuten dort verständigen.

AC:  Das ist auch interessant. Ich kann mir vorstellen, dass die Sprachbarriere noch ein weiteres Element war, das zu Ihrer Erfahrung von Trennung oder Unabhängigkeit beigetragen hat.

Ich glaube, ich bin eine Art Meeresbiologe, der vom Weg abgekommen ist. NC: Genau. Man hat dann noch stärker das Gefühl, sich in seiner eigenen Blase zu befinden. Stellen Sie sich vor, ich lebe seit ungefähr acht Jahren in Holland und spreche die Sprache nicht. Manche Leute reagieren darauf sehr überrascht oder schockiert —und wenn ich so darüber nachdenke, dann bin ich das manchmal auch. Aber mein Studio ist komplett international, ich war auf einer internationalen Hochschule und habe dort meine Frau kennengelernt. Ich habe mehrmals versucht, die Sprache zu lernen, aber es hat nicht funktioniert. Es war zu schwierig für mich. Deswegen lebe ich zur Zeit in einer Art Paralleluniversum neben dem normalen Leben oder der normalen Gesellschaft in Holland. Man geht in den Supermarkt und weiß nicht, ob jemand mit einem spricht oder nicht und hat deswegen alle Zeit für sich und seine Gedanken, ohne Unterbrechung.

Wenn ich nach Spanien fahre, dann habe ich fast das Gefühl, eine Superkraft zu besitzen, weil ich mit den Leuten unterhalten kann. Momentan ist die Stimmung in Spanien zum Beispiel sehr schlecht und deprimierend. Die Leute sind darüber unglücklich, dass sie keine Arbeit haben oder ihnen bestimmte Dinge fehlen. Das hat alles einen starken Einfluss auf mich. Hier weiß ich nicht, worüber die Leute um mich herum sprechen. Das hat natürlich Vor- und Nachteile.

AC:  Natur, Biologie und Erzählungen überschneiden sich in Ihrer Arbeit häufig. Daraus entstehen dann Figuren wie “Tree Chair” oder “Bush of Iron”. Manche kommen aus einer anderen Welt, andere sind fast primitive Kreaturen. Wie würden sie die Bedeutung von Natur oder Biologie in ihren Werken beschreiben?

NC: Ich glaube, ich bin eine Art Meeresbiologe, der vom Weg abgekommen ist. Das war der einzige Beruf, den ich mir während meiner Schulzeit vorstellen konnte, weil ich das Meer liebe und mich irgendwie dabei sehen konnte, mit Delfinen zu schwimmen. [lacht] Aber um Biologe zu werden muss man viel lernen und ich war damals nicht so begeistert von Büchern. Ich glaube also, meine Begeisterung für die Natur kommt in meinen Objekten zum Ausdruck, die sowohl fantastische als auch natürliche Seiten haben. Ich sehe einige dieser Objekte fast als Charaktere oder Persönlichkeiten —manchmal betrachten wir sie sogar als Haustiere. Ob bewusst oder unbewusst sind diese Objekte also voller Leben, das nah an der Natur ist.

AC: Sehen Sie sich selbst als Geschichtenerzähler?

NC: Als Geschichtenerzähler? Ja, weil ich das Gefühl habe, dass ich rechtfertigen und verstehen muss, warum ich das tue, was ich tue. Ich erzähle mir die Geschichte selbst und wenn sie dann auch für den Rest der Welt taugt, wird daraus ein neues Objekt geboren.

Tree Chair zum Beispiel ist ein schönes Märchen, das von meiner Idee für einen Stuhl handelt, der etwas anderes sein wollte. Für mich geht es in der Tree Chair Geschichte darum, dass ein Stuhl sich fragt: “Woher komme ich? Wo möchte ich hin?“ Und als er eines Tages aus dem Fenster schaut, stellt er fest, dass der Baum dort draußen aus Holz ist und dass er aus dem gleichen Material zu bestehen scheint. Irgendwas bewegt sich in seinem Kopf und er denkt: “Ich möchte wie mein Vater der Baum werden. Also streckt er sich in dem Versuch, den Baum nachzuahmen. Außerdem sieht er, dass der Baum ein Zufluchtsort für Insekten, Tiere und Vögel ist. Also schafft er in sich selbst auch eine Art Kokon. Aber ein Stuhl kann natürlich niemals ganz zu einem Baum werden. Es ist mehr unsere Interpretation davon, wie ein Stuhl ein Baum werden will.

Diese Geschichte ist für mich genug Rechtfertigung, noch einen Stuhl in die Welt zu bringen. Ich glaube nicht, dass Bedarf für noch einen normalen Stuhl besteht, denn wir haben bereits immer wieder so viele schöne Stühle neu produziert.

AC: Sie scheinen außerdem gerne mit Materialien zu spielen. Was ist Ihnen bei der Auswahl und Herstellung von Materialien besonders wichtig?

NC:  Man muss auf jeden Fall das richtige Material finden, um seine Geschichte zu erzählen. Tree Chair wäre ohne lose Sägespäne und Blätter nicht Tree Chair. In diesem Fall haben wir Materialien ausgewählt, die Natur und Industrie für die Geschichte vermischen —Blätter aus der Natur und Sägespäne als eine Art industrieller Abfall. Die beiden Welten kommen also zusammen, um gemeinsam eine Geschichte zu erzählen.

Genauso ist es auch bei den Evolution Arbeiten. Papier ist ein Medium, über das wir Nachrichten beziehen. Wir wollten damit also etwas erschaffen, das unser gesellschaftliches Verhalten hinterfragt. Wir haben einen Schutzraum aus Papier gebaut, in dem man sich für alles, was man liest, Zeit nehmen kann.

AC: Manchmal wissen die Betrachter nicht, ob sie ein Möbelstück, eine Skulptur, eine Kreatur oder eine Kombination aus diesen Dingen sehen. Ist Ihnen diese verspielte Mehrdeutigkeit wichtig oder eher ein Nebenprodukt des Prozesses?

NC: Ich muss zugeben, dass wir manchmal nicht wirklich wissen, was wir da tun. [lacht] Ich glaube nicht an Labels und deswegen ist es auch eine Art Spiel, das ich mit dem Publikum spiele. Sie sollen sich fragen: “Was ist das?“ Ich gebe ihnen darauf keine Antwort, aber die Arbeit ist da und hat, denke ich, auch eine Existenzberechtigung.

Ob man das als “zeitgenössische Kunst” oder “Design” bezeichnet, ist egal. Ich habe das Gefühl, dass all diese Kategorien lediglich eine Marketingstrategie sind: Nennt man es zeitgenössische Kunst und setzt es in einen bestimmten Kontext, dann gibt man dem Ganzen einen bestimmten Wert. In einem anderen Raum hat es einen ganz anderen Wert, oder? Ein Stuhl zum Beispiel: Ist er funktional, kann er keine Kunst sein und daraus ergibt sich ein bestimmter Wert. Handelt es sich aber lediglich um einen Klotz aus Müll, kann man ihn als Kunst bezeichnen —sofern jemand da ist, der sagt “Das ist Kunst.” Dadurch verändert sich sein Wert. Ich spiele also auch mit solchen Fragen —dem Wert von Objekten, dem Wert der Kategorie und dem Wert der Handarbeit. In all meinen Arbeiten steckt außerdem immer sehr viel Handarbeit. Wie nennt man also ein Stück, das funktional ist, aber nur durch aufwendige Handarbeit möglich wird? Was ist das? Ich weiß es nicht. Es wird ein Objekt, eine Kreation und vielleicht sollten sich andere Menschen den Kopf darüber zerbrechen, wie man es einordnen kann. Ich möchte das nicht.

AC: Verständlich. Träumen Sie momentan von einem bestimmten Projekt?

NC: Mein Traumprojekt ist immer das, was als nächstes ansteht. Aber ich glaube, ein eher persönliches Projekt von mir wäre es, ein Studio ohne Grenzen zu schaffen —einen Ort, an dem mein Team und ich forschen und uns ständig Neues ausdenken können, woraus dann neue Objekte entstehen. Ein Studio, in dem wir wirklich an unsere Grenzen gehen. Das wäre mein Traum.

AC: Es scheint, als wären Sie auf dem besten Weg dorthin.

NC: Naja, wir versuchen es. Und wir arbeiten auf jeden Fall hart dafür! [lacht]



*Dieses Interview wurde gekürzt und bearbeitet.

  • Interview von

    • Anna Carnick

      Anna Carnick

      Als ehemalige Redakteurin bei Assouline, der Aperture Foundation, Graphis und Clear feiert Anna die großen Künstler. Ihre Artikel erschienen in mehreren angesehenen Kunst- und Kulturpublikationen und sie hat mehr als 20 Bücher herausgegeben. Sie ist die Autorin von Design Voices und Nendo: 10/10 und hat eine Leidenschaft für ein gutes Picknick.

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