Rasmus Graversen von Fredericia gewährt uns Einblicke in das Erbe der dänischen Designlegende Børge Mogensen


Stiller Zauber

Die Fans der dänischen Moderne werden, ohne Zweifel, mit den Namen Børge Mogensen und Fredericia vertraut seinFür diejenigen, die eine Einführung bedürfen: Mogensen war ein Schüler von Kaare Klint in Kopenhagen und er gehörte zu der Handvoll von Designern, die die Moderne in Dänemark in das Rampenlicht brachten. Dadurch ebneten sie den Weg für die wachsende internationale Faszination für das dänische Mid-Century Design. Fredericia zählt, mit über 100 Jahren Erfahrung, zu den renommiertesten Möbelherstellern in der dänischen Tradition von hochwertiger Handwerkskunst und gehobener Ästhetik.

Sowohl der Designer als auch der Hersteller haben sich ihren ausgezeichneten Ruf wohl verdient. Ein näherer Blick auf die loyale und kreative Zusammenarbeit zwischen Mogensen und Fredericia verdeutlicht, dass sich dahinter auch eine einzigartige Chemie verbarg. Wir sprachen mit Rasmus Graversen - dem Produkt- und Design-Manager bei Fredericia - über das beeindruckende intellektuelle und ästhetische Erbe Mogensens und wie es das Unternehmen bis heute, 50 Jahre nach seinem Tod, prägt.

Fredericia wurde im Jahre 1911 von N.P. Ravnsø gegründet und von der Familie Ravnsø für mehrere Jahrzehnte geleitet, bis Andreas Graversen die Firma im Jahre 1955 übernahm. Rasmus Graversen berichtet, dass sein Großvater eine Bedingung stellte, um die damals nicht sehr erfolgreiche Fredericia Furniture zu übernehmen: Børge Mogensen sollte ebenfalls einsteigen. Andreas Graversen und Børge Mogensen kannten sich gegenseitig durch den Schrankhersteller Tage Christensen und beide arbeiteten außerdem für die dänische Verbrauchergenossenschaft (FDB). Graversen sah in Mogensens “authentischer, unverfälschter und ehrlicher” Design-Philosophie eine Leitidee für die Zukunft von Fredericia. Er reiste nach Kopenhagen, um Mogensen dazu zu bewegen, sich als Chef-Designer in diesem Projekt einzubringen und stellte sicher, dass Fredericia sich ausschließlich nach den Designs von Mogensen neu ausrichtete. 

Diese Zusammenarbeit war schnell von Erfolg gekrönt. Mogensens erster Entwurf für Fredericia - das Modell 201 Sofa (1955) - gilt heute als ein zelebrierter Meilenstein. Nachdem im Jahre 2014 eine Wiederauflage unter dem Titel No. 1 Sofa erfolgte, wurde dieses Design zum erfolgreichsten Sofa des Unternehmens. Die Beziehung zwischen Mogensen und der Familie Graversen umspannte drei Generationen. Den Beginn machte Andreas Graversen, dann folgte sein Sohn Thomas Graversen, der Fredericia in den späten 1980ern beitrat, und schlussendlich Rasmus Graversen. Diese Kollaboration ging weit über eine übliche Geschäftsbeziehung hinaus. Aus der Zusammenarbeit entwickelte sich ein neuer Ansatz für die Herstellung von Möbeln, in dem die Welt des Arbeitens sich mit der Welt des Privatlebens vermengen. Die Familien und das Zuhause der Geschäftsführer und Designer wurden zu zentralen Bezugspunkten für die Entwicklung neuer Möbel und dasselbe galt für die Werkstätte und ihre Handwerker*innen.  

Andreas Graversen and Børge Mogensen Photo courtesy of Fredericia
 Mogensen setzte sich das Ziel, sich in seinem modernem Stil persönlich einzurichten. Er entwarf dementsprechend ein komplettes Zuhause für sich selbst in Kopenhagen; von der Architektur über die Innenausstattung bis hin zu den maßgeschneiderten Möbelstücken. Zudem entwarf er ein Zuhause für seinen Geschäftspartner Andreas Graversen - womöglich als Geste der Freundschaft oder um die kreative Symbiose zwischen den beiden auszubauen. Sowohl Thomas als auch Rasmus Graversen sind dort aufgewachsen, womit die Vision Mogensens für beide zum allerersten und tiefgreifendsten Berührungspunkt mit der Welt des Designs wurde. 

“Bei Mogensens Designs geht es sehr stark darum, wie sich die Materialien aufeinander auswirken. Im Haus wurden die Leder- und Holzmöbel mit nackten Ziegelmauern und Steinböden kombiniert. Die starken Einflüsse aus der mediterranen und japanischen Architektur werden dadurch mit dem dänischen Funktionalismus verwoben” erinnert sich Rasmus Mogensen. “Alles wurde für das Haus maßgeschneidert und mit speziellen edlen Kunstgegenständen versehen (Albert Metz, Palle Nislesn, Svend Wiig Hansen); hinzu kamen Keramik (Gertrud Vasegaard) und Tischgeschirr (Grethe Meyer).” Das Ergebnis war eine allumfassende ästhetische Komposition, in der - laut Rasmus Graversen - “jeder einzelne Gegenstand für sich sehr subtil wirken mag, jedoch im Zusammenspiel eine großartige Wirkung entfaltet; und vor allem kann man sich darin sehr wohlfühlen”. Diese Lernerfahrung blieb prägend: “Eine Wertschätzung gegenüber einfachen Formen und Materialien ist ein grundlegender Bestandteil von allem, was mein Vater und ich heute tun.”

Mindestens genauso wichtig wie die ästhetische Harmonie war jedoch der Grundgedanke, dass Möbel und Interieurs praktisch, langlebig und funktional sein sollten. “Es handelte sich bei dem Haus nicht um ein Schauhaus, sondern es war tatsächlich zum Wohnen gedacht. Selbst wenn die Möbel teuer waren, durften wir sie so nutzen, wie es für den alltäglichen Gebrauch üblich war. Und als ich dann feststellte, dass Mogensens Möbel sogar noch wunderschöner wurden, wenn man sie nutzte, wurde das zu einer großen Inspiration für mich.

Rasmus Garversen verwendet den passenden Begriff der “lebenden Labore”, um den Ansatz von Mogensen und seinem Großvater zu beschreiben, die Wohnräume und das Alltagsleben ihrer Familien in den Design-Prozess miteinzubeziehen. Er erklärt: “Andreas und Børge haben stets ihre Möbel vor der Veröffentlichung zu Hause eingesetzt, um sicherzustellen, dass diese Produkte auch tatsächlich ihre Erwartungen erfüllten. Diese Tradition wurde von meinem Vater fortgeführt. Er brachte immer Prototypen mit nach Hause, um zu sehen, wie die Möbel sich machen, wenn man sie nutzt.” Und dies wurde entsprechend gewürdigt. Im Jahre 1971 erhielten Andreas Graversen und Børge Mogensen gemeinsam den prestigeträchtigen Dänischen Möbelpreis. Ein Jahr später, nach Mogensens vorzeitigem Tod im Alter von 58, wurde er zu einem Honorary Royal Designer for Industry für die Royal Society of Arts in London ernannt - nur eine von vielen Würden, die ihm posthum verliehen wurden.

Die Prinzipien, auf denen sich das Leben und Arbeiten von Mogensen und Andreas Graversen vor über einem halben Jahrhundert gründeten, leben in Fredericia fort. Das Unternehmen hat auch erfolgreich mit anderen legendären Designer*innen zusammengearbeitet, beispielsweise mit Nanna Ditzel, für einen längeren Zeitraum zum Ende des 20. Jahrhunderts. Dennoch weist Rasmus Graversen darauf hin, dass “Mogensen der Maßstab für uns bleibt, wie wir Möbel einschätzen”. Er fügt hinzu, dass “wir bei Fredericia die Kunst der Proportionen sehr hoch halten. Nicht alle Designer*innen haben ein Gespür dafür, aber die Vorreiter*innen in ihrem Metier können mit Proportionen kunstvoll umgehen. Ein guter technischer Design-Entwurf ist noch nicht genug.” Mogensens Fokus auf Materialien und wie unterschiedliche Kombinationen von Stoffen miteinander kommunizieren, ist ein zentraler Bestandteil von Fredericias Möbelphilosophie. Dies gilt auch dann, wenn das Unternehmen sein Repertoire mit den Beiträgen von zeitgenössischen Designer*innen erweitert, wie z.B. Jasper Morrison, Cecilie Manz, und Shin Azumi.

Spanischer Esszimmerstuhl von Børge Mogensen für Fredericia Foto mit freundlicher Genehmigung von Fredericia
Die Zeiten haben sich natürlich geändert und sowohl die Materialien als auch die Technologien, mit denen heute gearbeitet werden können, haben sich über die letzten fünfzig Jahre gewandelt. Die Zusammenarbeit zwischen Mogensen und Fredericia basierte stark auf der Expertise des Unternehmens mit massivem Holz. Mogensen passte seine Designs sogar an Fredericias Maschinen und Herstellungsprozesse an. Heutzutage sind, aufgrund robotergesteuerter Technologien, die Kreationsmöglichkeiten mit alten und neuen Materialien unbegrenzt. Rasmus Graversen erklärt, dass Mogensen es stets vermieden hat, mit Stahl oder Plastik zu arbeiten. Der Designer deutete wohl an, dass er dies lieber der nächsten Generation von Designer*innen überlassen wollte. Nun, die nächste Generation ist bereits hier und in vollem Gange; und Fredericia arbeitet eng mit den zeitgenössischen Designer*innen sowie ihren bevorzugten Materialien und Methoden zusammen. Doch das fortwährende Erbe des puristischen Mogensens schimmert weiterhin durch.

 “Mit dem Pato Chair haben wir versucht, ein paar der Werte von Mogensens Designs im Hinblick auf Einfachheit und Materialgefühl an den Prototypen des 21. Jahrhunderts anzupassen: der Stapelstuhl aus Plastik” erklärt Graversen. Es dauerte lange, bis sie eine Plastikoberfläche kreiert haben, die - wie Graversen es ausdrückt - “wir in denselben Raum belassen können, in dem Mogensens wunderschöne Designs aus natürlichen Materialien stehen.” Er sieht dies jedoch nicht als Einschränkung, sondern er argumentiert, dass “es schön ist, wenn man eine Art Test hat, mit der man neue Möbel einschätzen kann. Wie machen sich diese neuen Werke direkt neben unseren Klassikern?” Diese Frage ist von hoher Bedeutung angesichts der reichen Designtradition von Fredericia. Dies bedeutet nicht, dass alle neuen Entwürfe des Unternehmens den Vorgaben von Mogensens funktionalistischer Designphilosophie genügen müssen, aber sie werden sicherlich über einen hohen Grad an Designintegrität verfügen, wenn sie einen Platz neben den großen Klassikern einnehmen. Graversen drückt es sehr elegant aus, wenn er sagt, dass diese Klassiker “eine fast monolithische Ruhe an sich haben, die schwer zu übertreffen ist.” 

  • Übersetzung von

    • Ilias Ben Mna

      Ilias Ben Mna

      Ilias wuchs im Süden Deutschlands auf, aber mittlerweile ist er an vielen Orten daheim. Sein Fernweh brachte ihn nach North Carolina, wo er das College Basketball Team seiner Uni in Chapel Hill anfeuerte, nach Tunesien, wo er sich oftmals einen schwarzen Tee mit seinen Verwandten genehmigte und in die bildhübsche Stadt Vancouver in Kanada, wo er als Social Media Manager arbeitete. Momentan schreibt er eine Doktorarbeit zum Thema Film und zu seinen Hobbies gehören Gitarre spielen und die Berliner Comedy Clubs, die er unbeirrbar auf der Suche nach dem nächsten Lacher durchforstet.

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