Zu Gast bei Chmara.Rosinke


Mobile Hospitality

Von Anna Carnick

Die Designer Ania Rosinke und Maciej Chmara haben es geschafft, sich einen einzigartigen Platz in Wiens spannender Designszene zu sichern, sowohl durch ihr Studio Chmara.Rosinke, als auch als Mitbegründer der experimentellen und multidisziplinären Galerie Spazio Pulpo. Gelegentlich kommen sie allerdings auch nach Berlin, wo sich ganz in der Nähe des Wassers ihr zweites sonnendurchflutetes Zuhause befindet. Diese Charlottenburger Zweitwohnung, welche eine kleine Arbeitsfläche und viel Platz zum Herumtollen für ihre zweijährigen Zwillingssöhne umfasst, ist mit einer Mischung aus ihren eigenen Arbeiten, modernen Klassikern und funktionalistischen zeitgenössischen Designs eingerichtet. Wie auch das Paar selbst hat die Wohnung eine freundliche, warme und offene Ausstrahlung. An einem Tag, an dem der Sommer spürbar vor der Tür stand, haben die beiden uns freundlicherweise zu sich eingeladen und sich die Zeit genommen, uns von ihren Hintergründen, ihren herausragenden Projekten und ihren Zukunftspläne zu erzählen.

Die in Polen geborenen Designer lernten sich während des Studiums an der Kunsthochschule in Danzig kennen, wo sie auch ihre Zusammenarbeit begannen. 2012 gründeten sie ihr Studio in Wien und spezialisierten sich auf Projekte, die von Objekten und Inneneinrichtungen bis hin zu Identitäten und Installationen reichen. Ein Jahr später lud das angesehene Wiener MAK Museum sie ein, an dessen Residenzprojekt teilzunehmen und 2014 kuratierten sie Österreichs Ausstellung im Rahmen von Kapstadts Welt-Designhauptstadt Festivitäten. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch den Einsatz für Nachhaltigkeit aus, der sich in schlichten, poetischen Formen ausdrückt, die Objekte häufig zu ihren essentiellen Urformen zurückführen. Ihre Ästhetik mag reduziert wirken, aber ihr Ansatz ist dafür umso weitreichender. Chmara erklärt: „Wir glauben wirklich an die moderne Idee, dass man alles machen kann. Architekten können malen und Maler können Architektur machen."

Rosinke stimmt ihm zu. „Die Ausbildung in Polen ist im klassischen Sinne akademisch. Wir haben viele unterschiedliche Dinge gelernt­—sowohl Zeichnen, Malerei, Bildhauerei etc. als auch Gestaltung, Kunstgeschichte und mehr—und es macht uns Spaß an vielen unterschiedlichen Projekten zu arbeiten. Wir sind sehr froh darüber, dass wir viele unterschiedliche Dinge für unsere Kunden machen können. Wenn dich jemand fragt, ob du auch was für den Boden machst oder zum Beispiel Branding, dann fühlt es sich gut an, sagen zu können, dass man da helfen kann."

Dieses an Bauhaus erinnernde Paradigma zeigt sich auch in ihrer Ästhetik. Zum Beispiel wenn man sich den stapelbaren CF02 Stuhl (2015) des Paares anschaut. Inspiriert von dem großen Erbe an Stühlen aus Stahlrohr, das moderne Vorreiter des 20. Jahrhunderts hinterlassen haben, besteht dieser Stuhl aus einem einzigen Rohr, das an einer Stelle gebogen und geschweißt wurde und zwei einfachen Holzscheiben aus Esche, welche als Sitz und Rückenlehne dienen. Er wirkt zugleich nostalgisch und ausgesprochen verspielt und aktuell. Dasselbe gilt für ihre langlebige Erneuerung des ikonischen stapelbaren Roland Rainer Stuhls aus den 1950ern, welcher ursprünglich für die Wiener Stadthalle kreiert wurde.

Am bekanntesten ist das Paar jedoch wahrscheinlich für seine zeitgemäße Mobile Hospitality Serie. Zusammengesetzt aus beweglichen Strukturen aus Holz—darunter Küchen, Tische, Klapphocker und mehr—erforscht Mobile Hospitality in DIY Ästhetik momentane soziokulturelle Elemente, Zweckmäßigkeit und den Gedanken von der Grenze zwischen öffentlich und privat in urbaner Umgebung. Die Designer erklären: „Bei den Menschen in Polen steht die Philosophie der Gastfreundschaft stark im Mittelpunkt und sie sind sehr stolz darauf. Jeder, der in Polen aufgewachsen ist und von polnischen Familien erzogen wurde, bekommt diese strikte Tradition der Gastfreundschaft vererbt.  Aber was passiert, wenn du an einen Ort reist, an dem du ... niemanden kennst? 2011 wurden wir von ArtDesign Feldkirch eingeladen, ein Happening im urbanen Raum zu veranstalten. Wir wollten unsere Philosophie der Gastfreundschaft auf eine positive Art zeigen und [andere] dazu auffordern am urbanen Leben teilzunehmen." Um das zu erreichen „reisten wir mit unserer mobilen Küche, dem Tisch und den Klapphockern von Ort zu Ort, um alles aufzubauen und spontan für Fremde zu kochen, die vorbei gingen—und sich zu uns gesellten. An unserem großen Tisch trifft Design auf Genuss und so entstehen ganz besondere Möglichkeiten sich kennenzulernen."

Ein Mobile Hospitality Treffen in New York Image © Chmara.Rosinke
 Sie reisten mit ihren Interventionen in mehrere europäische Städte und das Projekt brachte den Designern eine Reihe von Preisen ein, darunter der DMY Berlin Award, der Neue Wiener Werkstätten Award und eine Outstanding Artist Auszeichnung (alle 2012). Mobile Hospitality wurde außerdem in die Dauerausstellung des MAK aufgenommen und die Bekleidungsmarke COS gab eine spezielle Version davon in Auftrag. Heute befindet sich eine angepasste Version einer dieser mobilen Küchen in der Berliner Wohnung der Designer.

Während unseres Besuchs zeigten Chmara und Rosinke außerdem stolz einige ihrer neuesten Stücke, wie zum Beispiel ein Set aus wunderschönen Wanddekorationen und einen modularen Teppich, beides inspiriert durch „geometrische Formen, mit denen wir schon länger experimentieren." Diese Formen wurden davor in ihren Schmuck- und Geschirrkollektionen verwendet. In ihrer neuen Anwendung in Juwelenfarbtönen bzw. Primärfarben wurden sie erstmals im April diesen Jahres in Mailand gezeigt. Über ihre Faszination für diese speziellen Formen sagt Chmara: „Wir haben auf der Suche nach einer Art ursprünglicher Geometrie Hunderte von Zeichnungen angefertigt—wir wollten Formen finden, bei denen man nicht weiß aus welcher Zeit sie stammen."

Auf die Frage, was bei ihnen als nächstes ansteht, antwortet Chmara: „Wir arbeiteten zur Zeit an einem Projekt, das (im weitesten Sinne) ein Theater in Berlin umfasst, aber viel mehr kann ich noch nicht verraten. Dazu fangen wir mit Pop-Up Shops an, so wie wir es bereits für COS gemacht haben und außerdem Messestände... Diese werden weiterhin eine große Rolle in unserer Arbeit spielen, hoffentlich auch in einer kulinarischen Richtung. Wir haben gerade unseren Stand für LZF bei der ICFF in New York präsentiert, entwickeln Gläser, schließen eine Möbelserie ab und erkunden noch weitere Teppich- und Textilprojekte. Für den Moment konzentrieren wir uns wieder auf kleinere Projekte."

Mehr zu Chmara.Rosinke erwartet Sie in unserem kommenden Beitrag über die Wiener Designszene!

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    • Anna Carnick

      Anna Carnick

      Als ehemalige Redakteurin bei Assouline, der Aperture Foundation, Graphis und Clear feiert Anna die großen Künstler. Ihre Artikel erschienen in mehreren angesehenen Kunst- und Kulturpublikationen und sie hat mehr als 20 Bücher herausgegeben. Sie ist die Autorin von Design Voices und Nendo: 10/10 und hat eine Leidenschaft für ein gutes Picknick.
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      Marco Lehmbeck

      Aufgewachsen ist Marco zwischen Seen und Wäldern in der Nähe von Berlin. Er studiert Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim sowie Fotografie in Berlin. Marco ist Organisationsmitglied des Immergut Musikfestivals für Indie- und Poprock, liebt Backpacking, Club Mate und Avocados. Und er trägt immer einen Hut.
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      Audrey Kadjar

      Audrey ist in Amerika geboren, hat französische Wurzeln und ist in zahlreichen Ländern aufgewachsen. Bevor sie bei Pamono anfing, studierte sie Kunstgeschichte in London und arbeitete in der Kulturindustrie. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist an der perfekten Übersetzung zu arbeiten, schreibt sie für zahlreiche Kulturmagazine, arbeitet an ihrem experimentellen Zine oder vertieft sich in Kunst- und Fotografieprojekte.

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      Natalia di Giammarco

      Natalia ist in Rom geboren und aufgewachsen. Dort studierte sie Fremdsprachen im Bachelor und zog für ihren Masterstudiengang nach Berlin. Obwohl sie die Anmut ihrer Heimatstadt vermisst, hat sie Berlins Exzentrizität immer schon fasziniert. Sie interessiert sich für gutes Kino, Reisen, gutes Essen und Theater- liegt aber auch gerne für ein paar Stunden in der Sonne und entspannt mit einem Buch in der Hand.  

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      Annika Hüttmann

      Annika ist umgeben von skandinavischem Design zwischen Norddeutschland und Südschweden aufgewachsen. Für ihr Literaturstudium zog sie nach Berlin und entdeckte dort ihre Leidenschaft für deutsche Vasen aus den 1950ern-70ern, von denen sie inzwischen mehr als 70 Stück besitzt.

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