Aufstieg und Fall des Piero Fornasetti


Fornasetti unter der Lupe

Von Jennifer Scanlan

Piero Fornasetti war ein echtes Original der Designlandschaft in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu vielen seiner Kontrahenten der Moderne fokussierte er sich mit seinen originellen, surrealen Handzeichnungen auf die reiche Oberflächengestaltung von Möbeln, Geschirr und Textilien – sogar ganzer Räume - und weniger auf die bloße Form. Da seine Arbeiten eher dekorativer Natur sind, findet sich sein Name nur selten oder lediglich als Randnotiz in den Studien zu klassischem, italienischen Design. Dennoch liefert die außergewöhnliche Bandbreite an Werken aus seinem Atelier – insgesamt über 11.000 – einen eindeutigen Beweis für seine Popularität und seine unendliche Vorstellungsgabe.

Schon seit den frühen Anfängen seiner Karriere als Künstler entschied sichFornasetti, unkonventionelle Wege zu gehen. Zwei Jahre Jahre nachdem er sich eingeschrieben hatte, wurde er 1932 wegen Ungehorsamkeit von der Academia di Belle Arti di Brera geworfen. Davon unbeeindruckt nahm er im Folgejahr an einer Studentenausstellung an der Universität in Mailand teil und zeigte eine Serie bedruckter Schals auf der fünften Triennale in Mailand. Schon früh experimentierte er mit architektonischen Dekorationselementen, wie Fresken,  im öffentlichen Raum oder dekorantivem Fries aus Bronze und Keramik für die sechste Triennale 1936.

Vermutlich hat Fornasetti einen Teil seines populären Erfolges der Hilfe von Design Größe Gio Ponti zu verdanken. 1940 begannen die Beiden zusammenzuarbeiten und aus jener Kollaboration traten einige seiner beliebtesten Arbeiten hervor. Ponti fühlte sich zu Fornasettis neoklassizistischen Motiven und Verweisen auf das visuelle italienische Erbe hingezogen. Im Gegenzug bot Ponti Fornasetti hochwertige Oberflächen elegant geschnittener Möbelstücke und damit eine Möglichkeit, sich in vollem Umfang grafischer Muster und räumlicher Illusionen zu bedienen. Sekretäre wurden mit illusionistischen Regalfächern versehen, Türen mit fiktionalen Eingängen ausgestattet und Radioschränke mit Notenblättern bedruckt.

Die Architettura Serie ist dabei vermutlich das erfolgreichste Ergebnis dieser Zusammenarbeit. 1951 erstmalig auf der Triennale zu sehen, ist die Kollektion beispielhaft für die volle Ausdrucksstärke von Fornasettis Stil. Auf antiken, architektonischen Abbildungen beruhend, besteht die Bildsprache vorwiegend aus neoklassizistischen Gebäudefassaden und Inneneinrichtungen, die Pontis Möbel einbeziehen und mit der Wahrnehmung von Räumlichkeit und Oberfläche spielen. Die illustrierten architektonischen Elemente wurden dabei in einen Dialog mit den Möbelstücken gesetzt: illusionistisch anmutende trompe l'oeil Treppen führten zu realen Ebenen und realen Innenräumen, während das reale Innere eines Schrankes, mit Darstellungen von optischen Täuschungen architektonischer Innenräume versehen war.

Piero Fornasetti and Gio Ponti group photo © Atelier Fornasetti Milan
Dieses Zwischenspiel aus Zwei- und Dreidimensionalität wurde zu einem integralen Bestandteil von Fornasettis Entwürfen. Er schöpfte aus einem gewaltigen Fundus an Drucken wie Karten, Werbematerialien, Typografien und Illustrationen, beginnend im 17. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert. Er zelebrierte den historischen Charakter der Abbildungen und reproduzierte penibel genau jeden Stich der Gravur. Die Tema e Variazioni Serie, die auf Magazinillustrationen der Opernsängerin Lina Cavalieri aus dem 19. Jahrhundert basiert, besteht aus hunderten Abbildungen ihres Gesichts. Obwohl Fornasetti das Gesicht verdreht, gespiegelt und vergrößert und schier endlos im für Fornasetti üblichen ironisch-humoristischen Kontext neu bearbeitet hat, bleibt der typische Kreuzstich des Graveurs unter dem Anspruch erhalten, möglichst nah an den Ursprung der historischen Abbildung heranzureichen.

Als sich die Kollaboration mit Ponti dem Ende neigte, erhöhte sich Fornasettis künstlerischer Output hinsichtlich Menge und Anwendungsbereich noch einmal. So produzierte er eine ganze Reihe neuer Produkte wie Tablette, Plakate, Westen, Lampen, Fahrräder, Leinwände, Teller, Aschenbecher, Regenschirme und Lampen sowie auch großflächige Projekte, wozu beispielsweise die Arbeit als Set-Designer für La Scala gehörte, die Gestaltung der Inneneinrichtung des Casinos von Sanremo und Elemente der Inneneinrichtung für den Ozeanriesen Andrea Doria. Er begutachtete Bilder meist in unendlich neuen Kombinationen: zusätzlich zu der architektonischen Darstellung und der Fokussierung auf Lina Cavalieris Gesicht, experimentierte er mit Sonnen, Schmetterlingen, Fischen, Spielkarten und Heißluftballons sowie vielerlei anderen Motiven. Während sich einige Illustrationen quasi unscheinbar und anonym über die Oberflächen erstreckten, spielten sie andere Male mit der Form und dem Material, auf welches sie aufgetragen wurden und interpretierten es neu.

Ende der 1960er Jahre nahm die Popularität von Fornasettis Arbeit ab und wurde von avantgardistischeren und konzeptioneller ausgerichteten Designarbeiten in den Schatten gestellt – sinnbildlich dafür die bahnbrechende Ausstellung Italy: The New Domestic Landscape im Museum of Modern Art 1972. Offenbar waren in dieser neuen, futuristischen Designlandschaft fortan lediglich einige düstere Streifen und Karos erlaubt. Fornasettis Schicksal trübte sich und seine Werkstatt in Mailand schrumpfte von 30 Arbeitern in den 1950er Jahren auf gerade einmal drei Angestellte.

In den 1980er Jahren brachte der Aufschwung des Postmodernismus jedoch ein erneuertes Interesse an Oberflächendekoration mit sich und zur Zeit seines Todes 1988, erfuhr die Arbeit Fornasettis wieder eine gesteigerte Aufmerksamkeit. 1991 veranstaltete dasVictoria & Albert Museum in London eine große Retroperspektive, seither steigen die Preise für Fornasettis Stücke auf dem primären wie sekundären Markt stetig an. Fornasettis Sohn, Barnaba, der in den 1980er Jahren auf Wunsch seines Vaters damit begann, die Firma wieder aufzubauen, hat viele der alten Designs neu aufgelegt, aber auch neue Entwürfe in Produktion gegeben, welche die Vision seines Vaters fortführen.

Letztendlich stellte sich Fornasettis Interesse an Vergangenem als richtungsweisend für die Zukunft heraus. Sein Interesse an imaginär gestalteten Oberflächen und origineller historischer Rezitation sagte den Postmodernismus vorraus. Seine Arbeiten bleiben als einzigartig und unverwechselbar in Erinnerung. Dadurch, dass er stets an seiner eigenen Vision festhielt sicherte er sein Vermächtnis gegenüber der Nüchternheit der Moderne und den Launen des Zeitgeschmacks. Kurz vor seinem Tod fasst er seine Philosophie in einem Interview 1987 zusammen: „Ein Künstler, der erfolgreich sein will, ist kein Künstler mehr. Falls er sich der aktuellen Mode anpasst, wird er zu spät kommen, denn zu dem Zeitpunkt ist bereits jeder angepasst. Daher ist die Idee, sich nicht anzupassen, sondern sich treu zu bleiben.“

  • Text by

    • Jennifer Scanlan

      Jennifer Scanlan

      Jennifer is an independent curator, writer, and teacher specializing in contemporary art and design. She loves food, travel, and her home city of New York. You can also follow her on Twitter @JenScanNYC

Designbegeisterte hier entlang