Eine Ausstellung in Wien zelebriert die Pattern-and-Decoration-Bewegung


Ein Hoch auf die Ornamentik

Dekorativ. Ornamental. Verziert. Geschmückt. Je nachdem, mit wem man spricht (und in welchem Zeitalter man sich bewegt), sind dies alles besonders stark aufgeladene Begriffe an der Schnittstelle von ästhetischem Wert und moralischem Urteil. Im 20. Jahrhundert entfachte ein Kampf zwischen Ornamentik und ihrem Gegenpol; ein Konflikt, der eng verflochten ist mit der Politik dieser Zeit - und der in vielen Bereichen des Designs, der Architektur und der Kunstwelt auch in der heutigen Zeit noch besteht.

Im Jahre 1908 veröffentlichte der österreichische Architekt, Schriftsteller und Kritiker Adolf Loos seine bahnbrechende Abhandlung „Ornament und Verbrechen”. Diese legendäre Streitschrift gegen den Wiener Jugendstil beschrieb Ornamentik als eine verbrecherische Handlung. Es war ein leidenschaftlicher Aufruf gegen die Verzierung an sich und hatte somit einen erheblichen Einfluss auf die entstehende moderne und - später -  minimalistische Denkschule. Diese beiden Richtungen bestimmten in den darauffolgenden 70 Jahren, und darüber hinaus, die ideologischen Herangehensweisen an Kunst, Architektur und Design.

Aber worin lag diese Vehemenz begründet, könnte man sich fragen. Wie unheilvoll kann Dekoration tatsächlich sein?

Im mumok in Wien erkundet die Ausstellung Pattern and Decoration: Ornament als Versprechen die kulturellen und historischen Grundsteine der Verspottung der Ornamentik und stellt zugleich einen einzigartigen Moment der Kunstgeschichte in das Rampenlicht, in dem Verzierung dem Minimalismus bevorzugt wurde.

Falls Sie eine kurze Zusammenfassung benötigen: Pattern and Decoration war eine US-amerikanische Kunstbewegung, die zwischen 1975 und 1985 eine Koalition bildete und geprägt war von wild optisch prunkvoll gemusterten Oberflächen. Sie repräsentierte eine Reaktion gegen die bedrückende Dominanz des modernen Funktionalismus in Architektur und Design. Die Bewegung, die als P&D bekannt wurde, wurde von der Befreiungspolitik der 1960er Jahre, besonders vom kritischen Feminismus, angetrieben. Inspiriert wurde die Bewegung von interkulturellen Vorstößen in die afrikanische, nahöstliche und asiatische Kunst. Im Sinne des Postmodernismus versuchten P&D Künstler*innen wie Miriam Schapiro, Cynthia Carlson, Jane Kaufman, Kim MacConnel und Brad Davis, ästhetische Inspiration auszugleichen, indem sie ganz ungezwungenvon kanonisierten Kunstschaffenden wie Henri Matisse sowie Heimtextilien, traditionellen Handwerkspraktiken und dekorativen architektonischen Elementen schöpften.

Auf einem rein ästhetischen Niveau ist die umfangreiche Ausstellung in Wien - die sich über mehrere Räume und Stockwerke des Museums erstreckt und von den Werken aus der Kollektion des einflussreichen deutschen Kunstsammlerpaares Peter und Irene Ludwig zehrt - eine Augenweide. Das mumok präsentiert in seinen weitläufigen Galerieräumen ein Fest der Farben, stark gemustert und verziert, mit Werken aus einem Spektrum verschiedenster Medien, von Steinmosaik zu Gemälden, Malereien, Collagen, Textilien und Keramiken. Die Ausstellung stellt eine visuelle Ausgelassenheit dar, die einige der abtrünnigeren Tendenzen der Bewegung widerlegt und sich zugleich nicht um die modernistische Ansicht schert, dass es eine stabile, universelle Vorstellung von „gutem Geschmack” geben könnte.

In der Tat ist die Verweigerung, zwischen ‘hoher’ und ‘niederer’ Kunst zu unterscheiden, ein Schlüsselelement der Herangehensweise der P&D-Künstler*innen. Die Künstlerin Joyce Kozloff, die eine Leitfigur der P&D war, erklärte: „Wir haben niemals eine Art von Kunst über die andere gestellt und wir sahen die Kunst der Welt als ein zusammenhängendes Ganzes.” Ihr Kollege Robert Kushner, dessen Kunst auch in der Ausstellung des mumok gezeigt wird, sagte: „Wir alle wollten das Spektrum dessen, was in das formale Lexikon der Kunst aufgenommen werden durfte, erweitern. Textilien - großartig! Steppdecken - ja! Keramik - selbstverständlich! Teppiche - wieso nicht?”

Pattern and Decoration / Ornament als Versprechen im mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien Foto: Stephan Wyckoff, © mumok
Heutzutage ist eine derartige Kreuzbestäubung zwischen den schöpferischen Disziplinen weitaus geläufiger, häufig sogar gelobt. Aber damals wurde sie als revolutionär angesehen - und spiegelte zumindest auf diese Weise simultane Bewegungen wie
 Memphis und Radical Design wider. Die moderne Denkweise war eine westliche Männerdomäne und „rational” und lehnte radikal ab, was als „nichtwestlich” und „feminin” galt. Kunsthandwerkliche Traditionen, Textilien, Muster und Stickarbeit wurden hauptsächlich als trivial oder kitschig angesehen - als Symbolbilder des schlechten Geschmacks.

Der Designwissenschaftler Joel Sanders schrieb in den späten 1990er Jahren den hervorragenden Essay „Curtain Wars”, in dem er die Entwicklungsgeschichte der Rolle des/der Raumausstatter*in/Dekorateur*in/Innenarchitekt*in im Laufe der letzten Jahrzehnte und die fest verwurzelte Assoziation mit Frauen und anschließend schwulen Innenarchitkekt*innen unter die Lupe nimmt. Sanders schilderte präzise, inwiefern die Geschlechter- und Sexualpolitik der modernen Abscheu vor Ornamentik zugrunde lag und Einfluss hatte auf die deutliche Verachtung für das, was als Dekoration gegenüber Architektur bezeichnet wurde. Loos legte explizit den Grundstein für diese „unmissverständlich frauenfeindliche und kolonialistische” Position - so lautet es in mumoks Text zur Ausstellung - indem er die Annahme verfocht, dass die Abwesenheit von Dekoration ein Zeichen für eine hochentwickelte Kultur sei, also das Gegenteil von dem, was er als primitive dekorative Kunst und Handwerk anderer Kulturen ansah.

Nach einer Lesart des 21. Jahrhundert würde die P&D-Bewegung derweilen sicherlich Diskussionen über kulturelle Aneignung und der Identitätspolitik der Entlehnung kultureller Traditionen beinhalten. Die Frage der Ornamentik bleibt unglaublich emotional, ethisch und politisch angespannt. Sie ist intrinsisch mit sozialen Hierarchien, Machtstrukturen und Identität verschlungen. mumok schreibt über die Ausstellung: „Die Fragen, die diese Künstler*innen stellten, bleiben auch heute, in unserer verstärkt globalisierenden Welt mit ihren beträchtlichen Machtasymmetrien, dringend und relevant.

Hybrid Ceramics von CTRLZAK, 2011 - 2016 Foto © CTRLZAK
In der Welt des Designs bleiben die Themen der Neuvermischung und Gegenüberstellung, eine Rückkehr zu traditionellen Handwerkstechniken und der Aufschwung postmoderner Bewegungen wie Memphis, ebenso aktuell. In der gegenwärtigen Design-Szene gibt es, vielleicht noch viel mehr als in anderen kreativen Bereichen, einen erneuten Enthusiasmus für Verzierung (wie zum Beispiel die derzeitige Besessenheit der Innenausstattung mit allen möglichen Neo-Deko-Elementen) und Anzeichen für die Bereitschaft von Designer*innen, sich zwischen Ästhetiken zu bewegen, die als maskulin oder feminin festgelegt sind. Designer*innen wie
 CTRLZAK bewegen sich nahtlos zwischen grafischen, minimalistischen Möbeldesigns und dekorativen Textilien. Ihre Motley Tischtücher und die Flagmented Pillows teilen sich in der Tat einen Hang zum Sampling und zum Zusammenstoßen der Mächte, der sehr stark an P&D erinnert. Zeitgenössische Tapeten-Designs wie die von Wall81, Moustache und Pattern17, kombinieren ausgefeilte Verzierung mit der Struktur einer Raumarchitektur und schließen somit die Lücke zwischen Ornamentik und Funktion.

Ich kann eine Reise nach Wien mit dem Besuch der Ausstellung nur wärmstens empfehlen, bevor diese schließt. Und dennoch bietet die Ausstellung auch aus der Ferne reichlich Denkanstöße dafür, wie Auffassungen von Geschmack kulturell definiert und dementsprechend in Kulturpolitik eingebettet sind. Wie sich das in der Möblierung Ihres Zuhauses manifestiert, ist ein weiteres deutliches Beispiel für den Sinnspruch, der der feministischen Schriftstellerin und Aktivistin Carol Hanisch zugewiesen und durch ikonische Figuren wie Audre Lorde und andere bekannt wurde; „das Persönliche ist politisch.” In diesem Sinne kann es auch immer noch ein revolutionärer Akt sein, sich die Freuden der Ornamentik zu eigen zu machen.

  • Text von

    • Gretta Louw

      Gretta Louw

      Die multidisziplinäre australische Künstlerin Gretta wurde in Südafrika geboren und lebt zurzeit in Deutschland. Sie ist Sprachenthusiastin und Weltenbummlerin, hat einen Abschluss in Psychologie und eine große Vorliebe für die Avantgarde.
  • Übersetzung von

    • Pia Buchty

      Pia Buchty

      Pia wurde in Aachen geboren und wuchs im Süden der Niederlande auf. In Berlin verliebte sie sich, als sie die Stadt das erste Mal im Alter von 13 Jahren besuchte - danach stand für sie fest, dass sie dort leben würde. Nach 10 Jahren in der Hauptstadt genießt die sprachbegeisterte Studentin vor allem die vielseitige Natur, die die Stadt umgibt und die sie gemeinsam mit ihrer spanischen Hündin Lina erkundet. Momentan schreibt Pia ihre Masterarbeit in der Amerikanistik über Buffy the Vampire Slayer - eine Heldin, die sie schon seit ihrer Kindheit begleitet.

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